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Endstation Rußland

Endstation Rußland

Titel: Endstation Rußland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Natalja Kljutscharjowa
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auf!« rief jemand Nikita zu. Oder er selbst schrie es dem kleinen Mann zu, damit der aufhörte zu lachen.
    Nikita wurde auf den Asphalt geworfen. Dann raste er in einen Abgrund, endlos. Er meinte immer, weiter könne es doch nicht gehen, doch er flog und flog.
    Als Nikita die Augen öffnete, erblickte er eine Zimmerdecke. Er kniff die Augen zusammen, um nicht abgelenkt zu werden, und überprüfte, ob er sich an die Geschichten erinnerte, die die alten Leute ihm anvertraut hatten. Alle Geschichten waren noch da. Nikita machte eine Bewegung und stöhnte. Der Kopf tat ihm unerträglich weh, und die Rippen bohrten sich bei jedem Atemzug in die Lungen.
    Er sank wieder in den Abgrund. Jemand rüttelte an seiner Schulter. Ein unbekanntes Gesicht verschwamm vor seinen Augen. Gennadis violette Physiognomie geriet in sein Blickfeld.
    »Gratuliere, Junge! Wir beide sind jetzt politische Verbrecher! Wir sitzen in Lefortowo und warten auf unseren Prozeß wegen eines Anschlags auf den Präsidenten! Wie findest du das? Wir sind jetzt im ganzen Land berühmt!«
    »Und sie ?« brachte Nikita hervor. Auch mit seinen Lippen stimmte etwas nicht, sie ließen sich nicht recht bewegen.
    »Sie halten sich tapfer!« antwortete der Fähnrich munter. »Sie weigern sich umzukehren. Nachdem du diesem grauen Oberst eine reingehauen hast, ging’s rund, ein einziges Chaos. Ich hab’s vom Fenster aus gesehen. Ein halbes Auge haben sie mir ja gelassen, immerhin. Dann haben sie dich zu mir ins Auto gesteckt, ganz schön zugerichtet, und wir sind losgefahren. Aber damit war das Problem nicht gelöst. Also sind sie weiter gelaufen. Er ist nicht mehr zu ihnen hin, hat seine Lakaien geschickt. Der ganze Zoo war da an der Landstraße. Das hat man mir hier erzählt. Aber sie pfeifen drauf und laufen weiter. Wir kehren nicht um, sagen sie. Nehmt das Gesetz zurück und laßt Nikita und Gennadi frei, dann hören wir auf. Inzwischen ist schon die gesamte ausländische Presse eingetroffen, ein Fest für die ganze Welt.«
    Nikita bat um Papier und Stift, schrieb auf ein Blatt »Der Kreuzzug der Alten«, kam aber nicht weiter, er hatte keine Kraft. Also diktierte er Gennadi die Geschichte der gen Moskau ziehenden Veteranen. Gennadi fluchte und schwitzte, der Kugelschreiber entglitt seinen ungeübten Händen immer wieder, aber er schrieb. Dann ging Gennadi zu einem Treffen mit seinem Anwalt, nahm das beschriebene Papier mit und kam nicht wieder. Nikita wurde eine Suppe gebracht. Er blickte in die Aluminiumschüssel, und ihm wurde wieder übel.
    »Ich werde nicht essen«, sagte Nikita zu dem verschwommenen Mann, der sich über ihn beugte, und fügte zu seiner eigenen Überraschung hinzu: »Solange dieses schwachsinnige Gesetz nicht aufgehoben wird.«
    Er lächelte. Er hatte nichts zu verlieren.
    Es verging einige Zeit. Gennadi kam nicht wieder. Die Schüsseln mit kalter Suppe häuften sich, für weitere war kein Platz mehr, also wurden keine mehr gebracht. Dann begannen Nikitas Träume.

30
    Die Realität lenkte ihn kaum ab. Anfangs unterschied er Traum und Wachsein nach der Anstrengung des Liderhebens. Dann hatte er nicht mehr die Kraft, die Augen zu öffnen, und die beiden Welten verschmolzen freudig miteinander, und die Phantasmagorien erblühten in wilder Pracht wie das Unkraut in den Straßen einer verlassenen Stadt, in der einmal die Angestellten des Tschernobyl-Kraftwerks gewohnt hatten.
    Einmal träumte Nikita von Nikolai Gumiljow. Sie liefen durch verworrene Höfe in Piter auf der Suche nach einer konspirativen Wohnung, doch sämtliche Treffs waren aufgeflogen, und sie liefen weiter, unter tranfunzeligen Straßenlaternen, in den Ohren das lebendige Rasseln von Türketten.
    Gumiljow trug eine Uniformjacke mit Epauletten, war glatzköpfig und sehr traurig.
    »So viele wurden eingesperrt und erschossen, weil sie angeblich Spione und Verschwörer waren«, klagte Nikolai Stepanowitsch Gumiljow. »Aber ich war wirklich ein Spion! Ich stand tatsächlich an der Spitze einer Verschwörung! Weißt du, wie mich das kränkt!«
    Gumiljow bat Nikita, eine Bombe zu bauen. Nikita weigerte sich, erklärte, er könne keine Bomben basteln, und Gumiljow schüttelte den Kopf und flüsterte bitter:
    »Das ist schlecht, ach, das ist schlecht!«
    Nikita konnte nicht an sich halten und fragte:
    »Nikolai Stepanowitsch Gumiljow, du wurdest doch längst erschossen, was willst du jetzt noch mit den Bomben?«
    Gumiljow war beleidigt, antwortete aber trotzdem. Mit tiefer Wehmut in

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