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Endstation Rußland

Endstation Rußland

Titel: Endstation Rußland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Natalja Kljutscharjowa
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eines Zauberstabs, heulten draußen Sirenen auf, Posten sperrten brüllend die Straße ab, und Tremor fiel ein, daß heute der Präsident kommen sollte.
    Der verrückte Komsomolze holte seinen berühmten Kuhfuß aus der Kammer, ballte das Gesicht zur Faust und mischte sich unter die Volksmassen.
    Gleich im ersten Sicherheitsring wurde der Irre mit der Eisenstange abgefangen. Tremor konnte den Kuhfuß noch in die Richtung schleudern, wo sich nach seiner Mutmaßung der Tyrann befand. »Nieder mit der Selbstherrschaft!« schrie er, bevor zehn kräftige Bodyguards ihn zu Boden drückten.
    Dank seiner offenkundigen Unzurechnungsfähigkeit hätte Tremor problemlos mit fünfzehn Tagen Haft oder einer Einweisung in die Psychiatrie davonkommen können. Doch gerade wegen seiner offenkundigen Unzurechnungsfähigkeit landete er in Lefortowo. Denn gegenüber sämtlichen »Satrapen«, die ihn verhörten, erklärte er hartnäckig, er habe »die schändliche Mumie erledigen« wollen, undversprach, sein edles Vorhaben zu Ende zu führen, sobald er wieder frei sei.
    Außerdem offerierte Tremor, in dessen Kopf Reportagen über sowjetische Gerichtsprozesse, Krimiserien und vulgärhistorische Romane aus der Feder nach Amerika geflüchteter ehemaliger KGB-Agenten bunt durcheinander gingen, den Ermittlern ein ganzes Dickicht von Verschwörungen.
    In einer nicht endenden Aufwallung beschrieb Tremor detailliert ein weitverzweigtes, die ganze Welt umspannendes Agentennetz, in dessen Schoß eine gewaltige Verschwörung reifte, die die Regierungen sämtlicher auf der Weltkarte verzeichneter Länder stürzen sollte, Kuba und Nordkorea ausgenommen. Die Ermordung des Präsidenten der Föderation mit einem Kuhfuß sollte nur der erste Schritt zur Verwirklichung dieser globalen Revolution sein.
    In die Verschwörung verwickelt waren angeblich Fidel Castro, Saddam Hussein und alle toten Kumpel von Tremor. Während die Ermittler Hunderte in der Akte auftauchender realer Namen und Adressen überprüften, wurde der verrückte Komsomolze unter Bewachung ins zentrale politische Gefängnis des Landes gebracht. Damit bekannte die Polizei, daß sie Tremors kranke Phantasien nicht für völlig unglaubwürdig hielt.
    Tremors Zellennachbar in Lefortowo, der stille Programmierer Aljoscha aus dem kleinen Moskauer Vorort Podolsk, saß ebenfalls wegen eines virtuellen Verbrechens. Wegen eines genialen Hackerangriffs auf den internen Server des FSB, mit dem er sämtliche Archive der Behörde blockiert hatte.
    Der schweigsame Aljoscha, der nie über Politik redete, glaubte also, wie sich nun herausstellte, auch, daß das Land kurz vor einem neuen Jahr 1937 stand. Mit seinemComputerangriff auf den Staatssicherheitsdienst wollte er Millionen potentieller politischer Gefangener vor Unheil bewahren.
    Nun wurde Aljoscha jeden Tag zu Begegnungen mit Systemadministratoren des FSB geholt, die sich vergeblich bemühten, dem Podolsker Terroristen die geheimen Paßwörter zu entlocken, mit denen der Server reanimiert werden konnte. Aljoscha aber erklärte bescheiden, nach seiner Attacke könnten die Daten nicht wiederhergestellt werden.
    Alja wußte nichts vom traurigen Los ihres Ritters. Aljoscha hatte alles im voraus bedacht. Nach dem Vorbild des Lokführers Nikolai, dessen Geschichte er von Nikita kannte, hatte er zwölf zärtliche Briefe an Alja geschrieben und sie der Nachbarin übergeben, damit sie jeden Monat einen nach Odessa schickte, in die Jewrejskaja-Straße 5. Alja war einen Tag vor seinem Hackerangriff nach Hause gefahren.
    Nikita sah genau, was in der Zelle gegenüber geschah. Tremor brachte Aljoscha bei, Tschifirzu trinken, und ärgerte sich, daß der dumme Brillenträger den Reiz dieses Getränks nicht zu schätzen wußte.
    Nikita hörte, worüber sie sprachen.
    »Ich fürchte, ich sitze für lange hier fest, bald sind die Briefe alle, und dann wird Alja sich Sorgen machen«, klagte Aljoscha, der zum ersten Mal in seinem Leben gesprächig wurde.
    »Keine Angst, Bruderherz!« tönte der Tschifir-Trinker. »Komsomol-Ehrenwort, die Kameraden lassen uns in der Not nicht im Stich! Während wir hier Wanzen zerquetschen, tobt dort draußen in der Freiheit der Kampf, reift die Revolution heran. Hast du nicht gehört – Kundgebungen im ganzen Land! Das ist Aufklärung durch Kampf! Und nach der Revolution kriegen wir beide eine Amnesie, äh, ichmeine, eine Dings, eine Annexie, nein, verdammt, äh …!«
    »Amnestie?« fragte Aljoscha schüchtern, schon ganz grün im

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