Endstation
letzter Zeit wurde darüber viel geschrieben.«
»Ach so«, murmelte Anders.
Er verließ das Bad, um zu telefonieren, während sie sich anzog. Sie wählte einen schwarzen Rollkragenpullover und einen grauen Rock und betrachtete sich dann noch einmal im Spiegel. Die Schwellungen am Hals waren jetzt verborgen. Aber die Farbzusammenstellung gefiel ihr nicht: schwarz und grau. Zu nüchtern, zu tot und kalt. Das paßte gar nicht zu ihr. Sie überlegte, ob sie sich umziehen sollte, tat es aber dann doch nicht. Sie hörte Anders im Wohnzimmer telefonieren. Sie ging in die Küche, um sich einen Whisky-Soda zu mixen, denn Kaffee hätte sie jetzt nicht mehr vertragen. Während sie den Alkohol in ein Glas goß, sah sie die langen Kratzer auf der Holzfläche des Arbeitstisches, die ihre Fingernägel hinterlassen hatten. Sie betrachtete ihre Finger. Drei Nägel waren abgebrochen. Das war ihr bisher noch gar nicht aufgefallen.
Sie nahm ihr Glas und setzte sich damit ins Wohnzimmer.
»Ja«, sagte Anders am Telefon. »Ja, ich verstehe. Nein -nein - keine Ahnung. Aber wir versuchen es.« Dann entstand eine längere Pause.
Sie trat an das zersplitterte Fenster und schaute hinaus auf die Stadt. Die Sonne war aufgegangen und beleuchtete den braunen Schleier von Smog, der über den Gebäuden hing. Die Luft ist hier auch schon lebensgefährlich geworden, dachte sie. Vielleicht sollte ich an den Strand übersiedeln, wo man noch saubere Luft atmet. »Nun hören Sie mal«, sagte Anders aufgebracht, »das wäre alles nicht passiert, wenn Sie seine Zimmertür vernünftig bewacht hätten. Das sollten Sie sich hinter die Ohren schreiben.«
Sie hörte, wie er den Hörer auf die Gabel knallte. »Scheißpolitik«, sagte er.
»Sogar bei der Polizei?«
»Ganz besonders bei der Polizei«, antwortete er. »Wenn etwas schiefgeht, suchen alle krampfhaft nach einem Sündenbock.«
»Will man es Ihnen anhängen?«
»Man versucht es zumindest.«
Sie nickte und überlegte, was zur Zeit wohl im Krankenhaus vor sich gehen mochte. Vermutlich genau dasselbe. Auch das Krankenhaus hat auf seinen guten Ruf in der Öffentlichkeit zu achten. Die Abteilungschefs schwitzten jetzt bestimmt Blut und Wasser. Der Verwaltungsdirektor machte sich Sorgen wegen der Zuschüsse. Irgendein Schuldiger mußte gefunden werden. McPherson saß zu weit oben. Sie selbst und Morris waren zu kleine Lichter. Wahrscheinlich blieb die Sache an Ellis hängen, denn er trug den Professorentitel. Wenn man einen Honorarprofessor hinauswarf, dann war das die Trennung von einem Mann, der sich als zu aggressiv, zu waghalsig, zu ehrgeizig erwiesen hatte. Es war jedenfalls besser, ihn statt eines Ordinarius zu feuern, weil das ein schlechtes Licht auf die früher getroffene Entscheidung über dessen Berufung warf.
Wahrscheinlich war Ellis dran. Sie fragte sich, ob er es wohl schon wußte. Er hatte sich erst kürzlich in Brentwood ein neues Haus gekauft. Er war sehr stolz darauf und hatte für die kommende Woche sämtliche Mitarbeiter der Neuropsychiatrie zur Einweihung eingeladen. Sie sah durch die zerbrochene Scheibe auf die Stadt hinaus. Anders fragte: »Sagen Sie, was hat Epilepsie mit Herzschrittmachern zu tun?«
»Nichts«, antwortete sie. »Benson hat man einen Hirnreizgeber eingepflanzt, der im Prinzip ähnlich funktioniert wie ein Herzschrittmacher.«
Anders klappte sein Notizbuch auf. »Fangen Sie ganz von vorne an«, bat er. »Und bitte langsam, zum Mitschreiben.«
»In Ordnung.« Sie stellte ihr Glas hin. »Lassen Sie mich vorher nur einmal telefonieren.«
Anders nickte, lehnte sich zurück und wartete, bis sie mit McPherson gesprochen hatte. Dann erklärte sie dem Beamten so ruhig und gelassen wie möglich alles, was sie wußte.
10
McPherson legte den Telefonhörer auf und sah durch sein Bürofenster hinaus in die Morgensonne. Der Himmel war nicht mehr blaß und kalt, die Vormittagswärme breitete sich schon aus.
»Das war Doktor Ross sagte er.
Morris saß in der Ecke und nickte. »Und?«
»Benson hat sie in ihrer Wohnung aufgesucht. Er ist wieder weg.«
Morris seufzte.
»Der Tag fängt nicht gut an«, sagte McPherson. Er schüttelte den Kopf, drehte sich aber nicht um. »Aber ich glaube weder an Pech noch an Glück.« Jetzt erst sah er Morris an. »Sie etwa?«
Morris war müde und hatte gar nicht zugehört. »Was soll ich?«
»Ob Sie an Glück glauben?«
»Natürlich. Alle Chirurgen glauben an ihr Glück.«
»Ich nicht«, wiederholte McPherson. »Ich habe nie
Weitere Kostenlose Bücher