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Endstation

Endstation

Titel: Endstation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Crichton
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Selbständigkeit zu verlieren. Und es war die reine Wahrheit, wenn er behauptete, er hätte von Anfang an Angst vor dem Versorgtwerden gehabt. Wer Angst hat, der haßt für gewöhnlich auch. Aber Benson war von ihr abhängig. Wie würde er darauf reagieren?
    »Man hat mich angelogen«, sagte er plötzlich.
    »Niemand hat Sie angelogen, Harry.«
    Er wurde zornig. »Doch, Sie haben … Sie …«
    Er brach ab und lächelte wieder. Für eine Sekunde wurden seine Pupillen groß - eine erneute Stimulation. Sie folgten jetzt dicht aufeinander. Bald würde wohl wieder ein Anfall folgen.
    »Wissen Sie was, das ist das herrlichste Gefühl der Welt«, sagte er.
    »Welches Gefühl?«
    »Dieses Summen.«
    »Ist es wie ein Summen?«
    »Sobald alles schwarz zu werden beginnt ssst! - und ich bin wieder froh«, sagte Benson. »Wunderbar warm und glücklich.«
    »Die Stimulationen«, murmelte sie.
    Sie widerstand dem Drang, auf die Uhr zu sehen. Was macht es schon, Anders hatte versprochen, in zwanzig Minuten hier zu sein, aber er war vielleicht aufgehalten worden. Und selbst wenn er kam, wußte sie nicht genau, ob er mit Benson fertig werden würde. Ein außer Kontrolle geratener psychomotorischer Epileptiker ist etwas Schreckliches. Wahrscheinlich würde Anders am Schluß auf Benson schießen. Und das wollte sie nicht. »Soll ich Ihnen noch etwas sagen«, führ Benson fort. »Dieses Summen ist nur manchmal angenehm. Wenn es zu stark, zu schwer wird, dann … dann erdrückt es mich.« »Wird es jetzt zu schwer?«
    »Ja«, sagte er und lächelte.
    In diesem Augenblick, da er lächelte, wurde ihr die eigene Hilflosigkeit bewußt. Hier versagte alles, was sie über die Beherrschung von Patienten, über die Lenkung ihrer Gedankengänge, die Beobachtung von Formulierungen gelernt hatte. Verbale Tricks halfen ihr hier überhaupt nicht - ebensowenig wie bei einem Irrsinnigen oder einem Kranken mit einem Hirntumor. Benson unterlag einem neuartigen klinischen Problem. In ihm arbeitete eine Apparatur, die ihn unerbittlich und präzise dem nächsten Anfall in die Arme trieb. Mit Worten kann niemand einen implantierten Computer abschalten. Eines war notwendig - sie mußte ihn ins Krankenhaus schaffen. Aber wie? Ihr blieb nichts anderes als ein erneuter Appell an seine Vernunft. »Begreifen Sie eigentlich, was jetzt geschieht, Harry? Sie sind durch die dauernden Stimulationen überreizt und werden von einem Anfall zum anderen getrieben.«
    »Aber es ist ein angenehmes Gefühl.«
    »Sie sagten doch selbst, es sei nicht immer angenehm.«
    »Nein, nicht immer.«
    »Wollen Sie nicht, daß das korrigiert wird?«
    Er sah auf. »Korrigiert?«
    »Gerichtet. So verändert, daß Sie keine Anfälle mehr bekommen.« Sie mußte ihre Worte sehr bedächtig wählen. »Glauben Sie, ich muß in Ordnung gebracht werden?«
    Seine Formulierung erinnerte sie an Ellis. Es war die Lieblingsphrase des Chirurgen.
    »Harry, wir können erreichen, daß Sie sich wieder wohler fühlen.«
    »Ich fühle mich wohl, Frau Doktor.«
    »Aber Harry, als Sie zu Angela fuhren »Daran erinnere ich mich nicht mehr.«
    »Sie waren dort, nachdem Sie das Krankenhaus verlassen hatten.«
    »Ich weiß gar nichts mehr. Alle Erinnerungsspeicher sind gelöscht. Ich nehme nur noch Elektrostatisches wahr. Wenn Sie wollen, können Sie es auf Band aufnehmen und abhören.« Er öffnete den Mund und ahmte ein zischendes Geräusch nach. »Hören Sie, nichts als Störungen.«
    »Sie sind doch keine Maschine, Harry«, sagte sie leise. »Noch nicht.«
    Ihr Magen rumorte. Ihr wurde übel vor innerer Erregung. Wieder registrierte ihr sachlicher Verstand ganz objektiv den physischen Ausdruck ihres Gemütszustandes. Sie war dankbar für diese Objektivität, auch wenn sie nur wenige Augenblicke dauerte.
    Aber sie war auch wütend auf Ellis und McPherson. In zahllosen Unterredungen hatte sie den beiden klar gemacht, daß die eingepflanzte Apparatur Bensons schon vorhandene Wahnvorstellungen verschlimmern würde. Keiner hatte auf sie gehört. Sie wünschte, die beiden jetzt hier vor sich zu haben.
    »Ihr versucht eine Maschine aus mir zu machen«, sagte er. »Ihr alle. Deshalb kämpfe ich gegen euch.«
    »Harry »Lassen Sie mich ausreden!« Seine Miene wurde starr.
    Dann lächelte er plötzlich wieder.
    Eine neue Stimulation. Sie lagen nur noch Minuten auseinander. Wo blieb Anders? Wo blieben die anderen? Sollte sie laut schreiend auf den Flur hinauslaufen? Versuchen, das Krankenhaus anzurufen oder die Polizei?

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