Endstation
und sie richten auch den größten Schaden an. Die Theoretiker vergessen meistens, daß niemand mit Vorurteilen, Neurosen und Komplexen zur Welt kommt, daß diese Charakterzüge einer helfenden Hand bedürfen. Natürlich schaden die Eltern den Kindern nicht absichtlich. Sie trichtern ihnen nur Verhaltensweisen ein, von denen sie glauben, daß sie für ihre Kinder nützlich und gut sein werden.
Neugeborene Kinder sind wie kleine Computer, die noch programmiert werden müssen. Sie lernen alles, was man ihnen beibringt, von schlechter Grammatik bis zu schlechten Manieren. Genau wie Computer verhalten sie sich neutral und können nicht zwischen guten und schlechten Ideen unterscheiden. Diese Analogie stimmt tatsächlich: Schon manchen Leuten ist aufgefallen, wie kindisch und pedantisch Computer sein können. Wenn man einem Computer die Anweisung erteilt, »zieh die Schuhe und Socken an«, antwortet er ganz bestimmt, daß man Socken nicht über Schuhe ziehen könne. Der wichtigste Teil der Programmierung ist im Alter von sieben Jahren abgeschlossen. Rassenvorurteile, sexuelle Verhaltensweisen, ethische Grundhaltungen, die religiöse und nationale Einstellung. Der Kreisel läuft, und die Kinder werden auf ihren vorausbestimmten Weg geschickt.
Gedankenkontrolle.
Wie steht es denn mit einfachen Dingen wie gesellschaftlichen Konventionen? Mit dem Händeschütteln, wenn man jemanden kennenlernt? Warum sieht man im Aufzug immer nach vorn? Warum überholt man links? Warum nimmt man das Weinglas in die rechte Hand? Hunderte kleiner Gewohnheiten, die für das Zusammenleben in der Gesellschaft wichtig sind; nimmt man eine davon weg, entstehen unerträgliche Ängste. Die Menschen brauchen eine Gedankenkontrolle. Sie sind froh, daß es sie gibt. Ohne diese Kontrolle sind sie hoffnungslos verloren.
Aber sobald eine Gruppe von Leuten versucht, das größte Problem der heutigen Welt zu lösen - die unkontrollierte Gewalt -, da erhebt sich plötzlich von allen Seiten lautes Geschrei: Gedankenkontrolle, Gedankenkontrolle!
Was ist nun besser: Kontrolle oder keine Kontrolle? Sie stieg im vierten Stock aus, kam auf dem Flur an einigen Polizeibeamten vorbei und betrat ihr Büro. Anders legte gerade stirnrunzelnd den Hörer auf.
»Wir haben die erste Spur gefunden«, sagte er.
»So?« Ihre Verärgerung wich einer erwartungsvollen Spannung.
»Ja«, sagte Anders. »Aber der Teufel soll mich holen, wenn ich das verstehe.«
»Was ist geschehen?«
»In der Stadt wurden Bensons Foto und seine Personenbeschreibung ausgegeben. Jemand hat ihn erkannt.«
»Wer?«
»Ein Angestellter der Stadtverwaltung im Planungsbüro. Er behauptet, Benson sei vor zehn Tagen dort gewesen. Diese Abteilung registriert und archiviert die Bauzeichnungen aller öffentlichen Gebäude innerhalb der Stadtgrenze und überwacht die Ausführung.«
Janet nickte.
»Benson wollte Einzelheiten über ein Gebäude wissen. Er wollte die Bauzeichnungen sehen. Er legte irgendeinen Ausweis vor und gab sich als Elektroneningenieur zu erkennen.«
Janet sagte: »Die Mädchen in seinem Haus haben erklärt, daß er ein paar Zeichnungen abgeholt hat.«
»Das waren vermutlich die Pläne aus der Stadtverwaltung.«
»Was für Pläne sind das?«
»Das Universitätskrankenhaus«, antwortete Anders. »Er besitzt die kompletten Schaltpläne für die gesamte Elektroanlage im Krankenhaus. Was schließen Sie daraus?« Sie sahen einander erschrocken an.
Um 20 Uhr war sie so müde, daß sie fast im Stehen einschlief. Sie hatte starke vom Nacken ausstrahlende Kopfschmerzen. Ihr wurde klar, daß es jetzt nur noch zwei Möglichkeiten gab: Entweder sie mußte schlafen oder sie würde umkippen.
»Wenn Sie mich brauchen«, sagte sie zu Anders, »ich bin auf der Station.« Sie ging den Korridor der NPFA entlang und kam wieder an mehreren Uniformierten vorbei. Sie beachtete die Männer gar nicht mehr, weil sie den Eindruckhatte, als hätten sich seit Menschengedenken uniformierte Polizisten hier herumgetrieben.
Sie warf einen Blick in McPhersons Büro. Er war an seinem Schreibtisch eingeschlafen. Sein Atem ging in kurzen, hastigen Stößen. Vielleicht hat er einen Alptraum, dachte sie. Ganz leise schloß sie die Tür wieder. Ein Pfleger kam mit vollen Aschenbechern und leeren Kaffeebechern vorbei. Es war seltsam, daß ein Krankenpfleger die Putzfrau spielen mußte. Der Anblick erinnerte sie an irgend etwas. Es mußte etwas Ungewöhnliches sein, eine Frage, die sie nicht ganz formulieren
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