Endstation
konnte.
Nach einer Weile gab sie es auf. Sie war müde und konnte nicht mehr klar denken. Einer der Behandlungsräume stand leer. Sie trat ein, schloß die Tür und legte sich auf den Behandlungstisch.
In der nächsten Sekunde war sie schon fest eingeschlafen.
15
Ellis saß in der Halle und sah sich auf dem Fernsehschirm in den Spätnachrichten um 23 Uhr. Er tat es teils aus Eitelkeit, teils aus makabrer Neugier. Auch Gerhard, Richards und Captain Anders waren dabei.
Auf dem Bildschirm blinzelte Ellis in die Kamera, während er die Fragen der Reporter beantwortete. Mikrofone wurden ihm vor das Gesicht gehalten, aber er fand sich, rein äußerlich, ganz ruhig. Das gefiel ihm. Und seine Antworten klangen vernünftig.
Die Reporter fragten nach der Operation, und er erläuterte sie knapp, aber präzise. Dann fragte jemand: »Warum wurde diese Operation durchgeführt?«
Ellis antwortete: »Der Patient leidet unter wiederholten Anfällen von Gewalttätigkeit. Die Ursache ist eine organische Gehirnkrankheit - sein Hirn ist beschädigt. Das versuchen wir in Ordnung zu bringen. Unser Ziel ist es, seine Gewaltausbrüche zu verhindern.«
Dagegen kann niemand etwas sagen, dachte er. Selbst McPherson wird mit dieser höflichen Antwort zufrieden sein.
»Kommt das öfter vor, daß Hirnschäden zur Gewalttätigkeit führen?«
»Wir wissen nicht, wie häufig es vorkommt«, sagte Ellis. »Wir wissen nicht einmal, wie weitverbreitet solche Hirnschäden sind. Aber nach unseren Schätzungen haben zehn Millionen Amerikaner offenkundig Hirnschäden und fünf weitere Millionen leichtere Schädigungen.« »Fünfzehn Millionen?« fragte ein Reporter. »Das wäre jeder Dreizehnte.«
Rasch gerechnet, dachte Ellis. Später stellte er fest, daß es jeder Vierzehnte war.
»So ungefähr«, antwortete er den Reportern. »Es gibt zweieinhalb Millionen Menschen mit Gehirnparalyse. Dann zwei Millionen mit Krampferscheinungen, darunter auch Epilepsie. Sechs Millionen sind geistig zurückgeblieben. Wahrscheinlich leiden zweieinhalb Millionen an hyperkinetischen Verhaltensstörungen.«
»Und all diese Menschen sind gewalttätig?«
»Nein, natürlich nicht. Aber wenn man der Sache nachgeht, wird man feststellen, daß ein ungewöhnlich hoher Prozentsatz jener Menschen, die zur Gewalttätigkeit neigen, Gehirnschäden aufweisen. Ich meine damit physische Schädigungen. Das entkräftet so manche Theorie über Armut, Diskriminierung, soziale Ungerechtigkeit und Mängel im sozialen Gefüge. Diese Faktoren fördern natürlich Gewaltausbrüche. Aber die Hauptursache bleibt der physische Hirnschaden. Mit sozialen Mitteln kann man eine physische Schädigung nicht beheben.«
Es entstand eine Pause. Ellis erinnerte sich daran, wie erleichtert er über diese Pause war. Er wußte, daß er gewonnen hatte, daß er die Situation meisterte.
»Wenn Sie von Gewalttätigkeit sprechen.«
»Dann meine ich nicht provozierte Anfälle von Gewalttätigkeit bei einzelnen Individuen«, ergänzte Ellis. »Gewalt ist in der Welt von heute das größte Problem. In Amerika zählt es zu den Hauptproblemen. 1969 wurden hier mehr Amerikaner getötet oder überfallen, als in Vietnam seit Beginn des Krieges getötet oder verwundet wurden. Im einzelnen … «
Die Reporter waren sichtlich beeindruckt.
»Wir hatten in einem Jahr vierzehntausendfünfhundert Morde, sechsunddreißigtausendfünfhundert Vergewaltigungen und dreihundertsechstausendfünfhundert Fälle von schwerer Körperverletzung. Alles in allem eine drittel Million Fälle von Gewaltanwendung. Nicht berücksichtigt sind dabei tödliche Verkehrsunfälle, und gerade mit Hilfe des Autos wird oft Gewalt angewendet. Verkehrsunfälle forderten im selben Jahr sechsundfünfzigtausend Todesopfer und drei Millionen Verletzte.«
»Mit Zahlen waren Sie schon immer gut«, bemerkte Gerhard.
»Aber es wirkt doch, nicht wahr?« sagte Ellis.
»Ja, großartig.« Gerhard seufzte. »Aber Sie blinzeln und sehen wenig vertrauenerweckend aus.«
»Das ist mein ganz normales Gesicht.«
Gerhard lachte.
Ein Reporter fragte: »Und Sie glauben, daß sich in diesen Zahlen physisch bedingte Gehirnkrankheiten widerspiegeln?«
»Größtenteils«, sagte Ellis. »Wenn bei einem Menschen wiederholt Gewaltausbrüche zu verzeichnen sind, deutet das einwandfrei auf einen physischen Gehirnschaden hin. Dafür gibt es berühmte Beispiele. Charles Whitman, der in Texas siebzehn Menschen tötete, hatte einen bösartigen Hirntumor und erklärte seinem
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