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Endymion - Pforten der Zeit & Die Auferstehung

Titel: Endymion - Pforten der Zeit & Die Auferstehung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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ich sehen, dass der Fluss – an dieser Stelle rund dreißig Meter breit
    – mehrere hundert Meter stromabwärts eine Biegung machte. Es gab hier ebenso wenig Ufer oder sichtbare Tunnel wie an unserem ersten Flussabschnitt, aber wenigstens schien der Fluss hier nicht aufzuhören.
    Ich hätte den Flussverlauf nach der Biegung gerne gesehen, hatte aber weder genügend Seil noch Körperwärme, um so weit zu schwimmen, Meldung zu machen und lebend zurückzukehren. »Zieht mich zurück!«, keuchte ich.
    In den folgenden zwei Minuten hielt ich mich fest – oder versuchte mich festzuhalten, meine Hände funktionierten nicht mehr –, während der Androide mich gegen die schreckliche Strömung zurückzog und dabei gelegentlich innehielt, wenn ich mich auf dem Rücken treiben ließ und die eiskalte Luft in den Spalten einatmete. Dann begann die schwarze Fahrt erneut.
    Wenn A. Bettik im Wasser gewesen wäre, und ich hätte gezogen – oder wenn es nur das Kind gewesen wäre –, hätte ich bei dieser starken Strömung keinen der beiden im Vierfachen der Zeit zurückziehen können, die A. Bettik brauchte. Ich wusste, er war kräftig, aber kein Übermensch – keine wundersamen Androidenkräfte –, doch an jenem Tag legte er eine übermenschliche Kraft an den Tag. Ich kann nur vermuten, welches Ausmaß an Energie er aufbringen musste, um mich so schnell zum Floß zurückzuziehen. Ich half mit, so gut ich konnte, schürfte mir die Hände auf, indem ich mich an der Eisdecke entlangzog, den scharfkantigeren Kristallen auswich und schwach gegen die Strömung strampelte.
    Als ich mit dem Kopf wieder durch die Wasseroberfläche stieß, den Lichtschein der Laterne und die Umrisse meiner beiden Gefährten sah, die sich zu mir herunterbeugten, hatte ich nicht mehr die Kraft, einen Arm zu heben, damit sie mich auf das Floß ziehen konnten. A. Bettik packte mich unter den Armen und hob mich behutsam heraus. Aenea ergriff meine tropfenden Beine, worauf sie mich zum Heck des Floßes trugen. Ich gebe zu, dass sich mein betäubtes Gehirn an die katholische Kirche in dem Dorf Latmos im nördlichen Moor erinnerte, eine kleine Stadt, wo wir unsere Lebensmittel und die einfachen Dinge einkauften, die Schafhirten sonst so brauchen, besonders an das große religiöse Gemälde an der Südwand der Kirche: Christus, der vom Kreuz genommen wird, die Arme eines seiner Jünger unter seinen schlaffen Armen, während die nackten, verstümmelten Füße von der Jungfrau Maria gehalten werden.
    Bilde dir keine Schwachheiten ein, drang ein ungebetener Gedanke durch den Nebel in meinem Geist. Er sprach mit Aeneas Stimme.
    Sie trugen mich zu dem raureifüberzogenen Zelt, wo die Thermodecke auf einem Stapel von zwei Schlafsäcken und einer dünnen Matte bereitlag.
    Neben diesem Nest glühte der Hitzewürfel. A. Bettik zog mir das tropfnasse Unterhemd aus und nahm mir den Beutel und die Kom-Einheit ab. Er löste das Klebeband des Taschenlasers, verstaute ihn sorgfältig in meinem Rucksack, legte mich mit der Thermodecke um den Körper in den obersten Schlafsack und öffnete ein Medpack. Er befestigte adhäsive Biomonitorkontakte an meiner Brust, der Innenseite meiner Oberschenkel, meinem linken Handgelenk und der linken Schläfe, studierte die Anzeigen einen Augenblick und verabreichte mir dann eine Ampulle Adrenonitrotalin, wie wir es vereinbart hatten.
    Sie müssen es satt haben, mich aus dem Wasser zu ziehen, wollte ich sagen, aber Kiefer, Zunge und Stimmbänder gehorchten mir nicht. Mir war so kalt, dass ich nicht einmal zitterte. Das Bewusstsein war ein dünner Faden, der mich mit dem Licht verband, aber er flatterte im kalten Wind, der durch mich hindurchwehte.
    A. Bettik beugte sich dichter zu mir. »M. Endymion, sind die Sprengladungen befestigt?«
    Ich brachte ein Nicken zustande. Mehr konnte ich nicht tun, und mir kam es vor, als würde ich dabei eine unhandliche Marionette führen.
    Aenea ließ sich neben mir auf die Knie sinken. Zu A. Bettik sagte sie:
    »Ich passe auf ihn auf. Bring du uns hier raus.«
    Der Androide verließ das Zelt, um uns von der Eiswand abzustoßen und stromaufwärts zu bringen, wozu er den Stab an diesem Ende des Zelts benutzte. Ich konnte nicht glauben, dass er nach dem Kraftakt, mich gegen die Strömung heraufzuziehen, noch die Energie aufbrachte, das ganze Floß die erforderliche Strecke flussaufwärts zu schaffen.
    Wir setzten uns in Bewegung. Ich konnte durch die dreieckige Öffnung am Ende des Zelts die Laterne im Nebel

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