Endymion - Pforten der Zeit & Die Auferstehung
aus dem Petersdom geschleppt worden, aber im Gegensatz zu mir erwachte sie am nächsten Tag weder unter Drogen noch mit einem Kortikalstecker. Sie erwachte – und ich hatte an diesem Erwachen deutlicher Anteil, als ich mich an mein eigenes erinnern kann, sah es so klar und deutlich wie einen zweiten Satz von Sinneseindrücken – in einem riesigen, runden Raum mit Steinmauern von etwa dreißig Metern Durchmesser und einer Decke fünfzig Meter über dem Steinfußboden. In die Decke eingelassen war eine leuchtende Ornamentglasscheibe, die den Eindruck eines Oberlichts vermittelte, aber Aenea vermutete, dass es eine Illusion war und der Raum sich tief in einem größeren Gebäude befand.
Die Ärzte hatten mich für meine zehnminütige Verhandlung gewaschen, während ich bewusstlos war, aber niemand hatte Aeneas Wunden behandelt: Ihre linke Gesichtshälfte war wund und mit Schwellungen und Blutergüssen übersät, man hatte ihr die Kleidung vom Leib gerissen, sie war nackt, ihre Lippen geschwollen, das linke Auge fast zu – sie konnte nur mit Anstrengung damit sehen, und die Sicht ihres rechten Auges war infolge einer Gehirnerschütterung verschwommen –, und sie hatte Schnittwunden und Blutergüsse auf Brust, Schenkeln, Unterarmen und Bauch. Einige dieser Schnittwunden waren verkrustet, aber einige waren so tief, dass sie genäht werden mussten, was niemand getan hatte. Sie bluteten immer noch.
Sie war auf etwas geschnallt, das wie ein rostiges Eisenskelett aus Metallstreben aussah, das an Ketten von der hohen Decke hing und ihr erlaubte, ihr Gewicht dagegen zu lehnen, sie aber dennoch fast aufrecht hielt, sodass die Arme auf rostigen Streben ruhten, ein fast vertikaler Stern aus kaltem Metall, der in der Luft hing; ihre Handgelenke und Knöchel waren grausam an dem Rahmen festgeklammert. Ihre Zehen hingen rund zehn Zentimeter über dem Gitterboden. Sie konnte den Kopf bewegen. Das runde Zimmer war leer, abgesehen von dem Käfig und zwei weiteren Objekten. Ein großer Mülleimer stand rechts von dem Stuhl. In dem Mülleimer befand sich ein Plastikeinsatz. Neben dem rechten Arm des Sterns stand ein rostiges Metalltablett mit verschiedenen Instrumenten darauf: uralte Zahnbohrer und Zangen, runde Klingen, Skalpelle, Knochensägen, eine lange Pinzette, Drahtstücke mit Stacheln in Abständen von drei Zentimetern, Scheren mit langen Schneiden, kürzere, gezackte Scheren, Flaschen mit dunkler Flüssigkeit, Tuben mit Paste, Nadeln, dicker Faden und ein Hammer. Noch beängstigender war das zweieinhalb Meter durchmessende runde Gitter unter ihr, durch das sie Dutzende winzige blaue Flämmchen sehen konnte, die wie Kontrolllampen leuchteten. Es roch schwach nach Biogas.
Aenea kämpfte gegen die Fesseln an – sie gaben keinen Millimeter nach –, spürte ihre geschwollenen Hand- und Fußgelenke bei dem Versuch pochen, legte den Kopf wieder auf das Eisengitter und wartete. Ihr Haar war an der Stelle verfilzt, sie konnte eine gewaltige Schwellung hoch auf der Kopfhaut und eine weitere an der Schädelbasis spüren. Ihr war übel, und sie konzentrierte sich darauf, nicht auf sich selbst zu erbrechen.
Nach ein paar Minuten ging eine Geheimtür in der Steinmauer auf, und Rhadamanth Nemes kam herein und ging zu einer Stelle unmittelbar neben dem Gitter rechts von Aenea. Eine zweite Rhadamanth Nemes trat ein und bezog links von Aenea Stellung. Zwei weitere Nemes-Klone traten ein und stellten sich in geringer Entfernung auf. Sie sagten nichts. Aenea sagte nichts zu ihnen.
Einige Minuten später materialisierte sich John Domenico Kardinal Mustafa flimmernd – sein lebensgroßes holographisches Ebenbild wurde unmittelbar vor Aenea aufgebaut. Die Illusion seiner leibhaftigen Präsenz war perfekt, davon abgesehen, dass er auf einem Stuhl saß, der von dem Hologramm nicht dargestellt wurde, was den Eindruck erweckte, als würde er mitten in der Luft schweben. Mustafa sah jünger und gesünder aus als auf T’ien Shan. Einige Sekunden später gesellte sich das Hologramm eines robusteren Kardinals in rotem Gewand dazu, dann das Holo eines dünnen, tuberkulös aussehenden Priesters. Einen Moment darauf trat ein großer, gut aussehender Mann, ganz in Grau gekleidet, durch die materielle Tür in dem materiellen Kerker und stellte sich neben die Holos. Mustafa und der andere Kardinal blieben auf ihren unsichtbaren Stühlen sitzen, während das Holo des Monsignore und der tatsächlich anwesende Mann in Grau wie Diener hinter den Stühlen
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