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Endymion - Pforten der Zeit & Die Auferstehung

Titel: Endymion - Pforten der Zeit & Die Auferstehung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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bei Verstand. Und dann habe ich weitere zahllose Tage, gewiss Monate, den Textschiefer benutzt, den man mir in die kleine eiförmige Zelle mitgegeben hatte, damit ich diese Geschichte erzählte. Sie müssen gewusst haben, dass der Textschiefer eine weitere Strafe sein würde, während ich auf den Tod wartete und meine Geschichte auf die wenigen Seiten wieder aufbereiteten Mikropergaments schrieb wie die Schlange, die ihren eigenen Schwanz frisst, in dem Bewusstsein, dass niemand die Geschichte je in dem Gedächtnischip abrufen wird.
    Ich habe ganz zu Anfang gesagt, dass Sie, mein imaginärer Leser, dies aus dem falschen Grund lesen. Ich sagte zu Anfang, wenn Sie dies lesen, um etwas über ihr oder mein Schicksal zu erfahren, dann lesen Sie das falsche Dokument. Ich war nicht bei ihr, als ihre Schicksalsstunde schlug, und mein eigenes Schicksal ist seinem letzten Akt nun näher als zu Beginn dieser Niederschrift.
    Ich war nicht bei ihr.
    Ich war nicht bei ihr.
    O Jesus – Gott, Gott von Moses, Allah, Buddha, Zeus, Muir, Elvis, Christus... wenn einer von euch existiert oder jemals existiert hat und noch ein Fünkchen Macht in den toten grauen Händen hält... bitte lass mich jetzt sterben. Jetzt. Soll das Teilchen entdeckt und das Gas freigesetzt werden.
    Jetzt.
    Ich war nicht bei ihr.

31

    Ich habe Sie belogen.
    Ich habe zu Beginn dieser Erzählung behauptet, dass ich nicht bei Aenea war, als ihre Schicksalsstunde schlug – womit ich angedeutet habe, dass ich nicht wüsste, welches Schicksal ihr zuteil wurde –, und ich wiederholte es vor einigen Schlafperioden, als ich die letzten Kapitel eben dieser Erzählung niederschrieb.
    Aber ich habe durch Verschweigen gelogen, wie mancher Priester der Kirche sagen würde.
    Ich habe gelogen, weil ich nicht darüber schreiben, es nicht diskutieren, es nicht noch einmal erleben, es nicht glauben wollte. Aber jetzt weiß ich, dass ich das alles tun muss. Ich habe es in jeder Stunde meiner Gefangenschaft hier in der Schrödinger-Katzenkiste durchlebt. Ich habe es geglaubt, seit ich das Erlebnis mit meiner geliebten Freundin geteilt habe, meiner geliebten Aenea.
    Ich wusste schon, bevor sie mich aus dem Pacem-System wegbrachten, welches Schicksal mein geliebtes Mädchen ereilt hatte. Nachdem ich es geglaubt und durchlebt habe, bin ich es der Wahrheit dieser Erzählung und der Erinnerung an unsere Liebe schuldig, es zu diskutieren und beschreiben.
    All dies wurde mir bewusst, als ich mich eine Stunde nach meiner zehnminütigen Verhandlung vor der Inquisition auf dem Pax-Stützpunkt eines zehn Lichtminuten von Pacem entfernten Asteroiden unter Drogen und benommen in einem Hochschwerkrafttank an Bord des automatischen Shuttles befand. Ich wusste in dem Moment, als ich alles hörte und spürte und sah, dass es echt war und in dem Moment geschah, als ich es miterlebte, und dass lediglich meine Verbundenheit mit Aenea und mein langsamer Fortschritt beim Erlernen der Sprache der Lebenden mir diese unmittelbare Teilhabe ermöglichten. Als das vorbei war, fing ich in meinem Hochschwerkrafttank an zu schreien, zerrte an den Leitungen des Lebenserhaltungssystems und schlug mit Kopf und Fäusten gegen die Wände, bis das Wasser in dem Tank von meinem Blut rot gefärbt war. Ich versuchte, mir die Osmosemaske herunterzureißen, die mein Gesicht wie ein Parasit bedeckte, der den Atem aus mir sog; sie ließ sich nicht entfernen. Volle drei Stunden schrie und tobte ich und schlug mich bestenfalls in einen Zustand halber Bewusstlosigkeit, während ich die gemeinsamen Augenblicke mit Aenea tausendmal durchlebte und tausendmal vor Qualen schrie, und dann verabreichte mir das Roboterschiff Schlafmittel mit den egelartigen Nabelschnüren, der Hochschwerkrafttank wurde geleert, und ich versank in der kryogenischen Fuge, als das Kriegsschiff den Übergangspunkt für den Sprung ins nahe gelegene Armaghast-System erreichte.
    Ich erwachte in der Schrödinger-Katzenkiste. Das Roboterschiff hatte mich in den fusionsenergiebetriebenen Satelliten verfrachtet und ihn ohne menschliches Zutun in die Umlaufbahn geschossen. Ein paar Momente war ich desorientiert und glaubte, dass die Zeit, die ich gemeinsam mit Aenea durchgemacht hatte, ein Albtraum wäre. Dann wurde mir klar, dass sie Wirklichkeit gewesen war, und ich fing wieder an zu schreien. Ich glaube, dass es mehrere Monate dauerte, bis ich wieder zur Vernunft kam.
    Nun folgt also, was mich in den Wahnsinn trieb.
    Aenea war ebenfalls blutend und bewusstlos

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