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Endymion - Pforten der Zeit & Die Auferstehung

Titel: Endymion - Pforten der Zeit & Die Auferstehung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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vertrauten Sternbildern glauben konnte. Wir waren irgendwohin gegangen. Aber die Welt, die über den Ästen leuchtete, war nicht die Alte Erde mit ihren blauen Meeren und weißen Wolken, nicht einmal ein erdähnlicher Planet, sondern eine rote Wüstenwelt ohne Meere mit akneartigen Pockennarben von vulkanischer Aktivität oder Kratereinschlägen und einer gleißenden weißen Polkappe.
    »Mars«, sagte A. Bettik. »Wir sind ins System der Alten Erde beim Stern Sol zurückgekehrt.«
    Wir hörten alle die Resonanz der Stimme von Fedmahn Kassad auf dieser Welt in der Leere. Wir freicasteten hinunter, fanden ihn, erklärten ihm die Reise – eine Erklärung, die er nicht brauchte, weil er uns durch sein eigenes Lauschen kommen gehört hatte – und brachten ihn zu uns auf die Sequoia Sempervirens. Martin Silenus ließ verlauten, dass er mit seinem alten Partner der Pilgerfahrt sprechen wollte, und ich begleitete den Soldaten auf den Treppen und Brücken zum Turm.
    »Das System der Alten Erde ist gesichert, wie Diejenige Die Lehrt mir befohlen hatte«, sagte Kassad, als wir den Boden von Hyperton betraten, wo das Bruchstück der Stadt in die Äste des Baums geschmiegt war. »Seit zehn Monaten hat kein Schiff des Pax mehr versucht, unsere Verteidigungslinie zu durchbrechen. Niemand im System, nicht einmal unsere eigenen Kriegsschiffe, darf sich der Alten Erde auf mehr als zwanzig Millionen Kilometer nähern.«
    »Der Alten Erde?«, wiederholte ich. Ich blieb wie angewurzelt stehen.
    Kassad blieb ebenfalls stehen und wandte mir das dunkle, schmale Gesicht zu.
    »Sie wissen es nicht?«, sagte er. Der Soldat zeigte zum Himmel, direkt zu der Stelle, auf die das Baumschiff unter vollem, von den Ergs kontrolliertem Schub Ziel gesetzt hatte.
    Er sah aus wie ein Doppelstern, wie alle Planeten mit einem großen Mond. Aber ich konnte das fahle Leuchten von Luna sehen, kleiner, kälter.
    Und den warmen, blauweißen Puls des Lebens der Alten Erde.
    A. Bettik empfing uns am Eingang des Turms. »Wann war es? Wann haben sie... wie... wann ist sie zurückgekehrt?«, fragte ich und schaute weiter zur Alten Erde auf, während sie zu einer echten Kugel heranwuchs.
    »Zur Zeit des Gemeinsamen Augenblicks«, sagte Kassad. Er strich sich roten Staub von der schwarzen Uniform und bereitete sich darauf vor, den alten Dichter zu sehen.
    »Weiß es eigentlich jeder?«, fragte ich. Der arme, dumme Raul Endymion. Immer der Letzte, der etwas mitbekam.
    »Jetzt schon«, sagte Oberst Fedmahn Kassad.
    Wir gingen alle drei nach oben, den sterbenden Mann besuchen.
    Martin Silenus war bester Laune, als er seinen alten Freund nach fast zweihundertachtzig Jahren der Trennung wieder sah.
    »Also wird deine schwarze Killerseele zur Keimzelle des Shrike, wenn sie es in tausend Jahren bauen, he?«, gackerte der alte Mann durch seinen überforderten Sprachsynthesizer. »Na, wunderbarschloch, Kassad.«
    Der Soldat betrachtete die grinsende Mumie stirnrunzelnd. »Warum bist du nicht tot, Martin?«, fragte der Oberst schließlich.
    »Bin ich, bin ich«, sagte Silenus hustend. »Ich habe vor Zeitaltern und Äonen aufgehört zu atmen. Sie sind einfach noch nicht pfiffig genug gewesen, mich in die Grube zu schubsen und zuzuschaufeln.« Der Synthesizer versuchte gar nicht erst, das folgende Husten und Röcheln zu übersetzen.
    »Hast du dein wertloses Prosagedicht je beendet?«, fragte der Soldat, während der alte Mann weiter hustete, sodass das gesamte Netz von Schläuchen und Röhren erbebte.
    »Nein«, sagte ich für die hustende Gestalt im Bett. »Das konnte er nicht.«
    »Ja«, sagte Martin Silenus deutlich durch sein Kehlkopfmikrofon. »Habe ich.«
    Ich stand sprachlos da.
    »Eigentlich«, gackerte der alte Dichter, »hat er es für mich vollendet.«
    Der knochige Arm mit seiner Hülle pergamentartiger Haut wurde ein wenig über das Bett gehoben. Ein von Arthritis verkrümmter Daumen zuckte in meine Richtung.
    Oberst Kassad warf mir einen Blick zu. Ich schüttelte den Kopf.
    »Sei nicht so verdammt begriffsstutzig, Junge«, sagte Martin Silenus, was der Lautsprecher mit einem Tonfall der Zuneigung übermittelte.
    »Siehst du deinen Textschiefer irgendwo?«
    Ich wirbelte herum und sah zu dem Tablett, wo ich ihn liegen gelassen hatte. Er war fort.
    »Alles ausgedruckt. Rund eine Milliarde Bytes Sicherungsspeicher freigeräumt. Über die Datensphäre rausgeschickt, bevor wir hierher ge’castet sind.«
    »Es gibt keine Datensphäre«, sagte ich.
    Martin Silenus

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