Endymion Spring - Die Macht des geheimen Buches
vergessene Bücher. Vielleicht waren hier in der Nähe Endymion Springs Knochen begraben. Er fröstelte.
Bis auf einen schwachen Lichtschimmer, der wie ein Schleier aus den Seiten des aufgeschlagenen Buches in Blakes Hand fiel, war es hier unten stockdunkel. Er schwenkte den Lichtstrahl seiner Taschenlampe durch den Raum, verscheuchte die Finsternis mal hier, mal da. Alte Pfeiler stützten eine niedrige gewölbte Decke, von der Spinnweben herunterhingen wie mit klebrigen Tüchern verhüllte Kronleuchter. Überall Truhen und Kästen, die offen standen wie geplünderte Gräber. Die Bruchstücke der Regale an den Wänden sahen aus, als seien sie schon seit Jahrhunderten zerbrochen und zersplittert. Was einmal an Büchern darauf gestanden hatte, war zum größten Teil auf dem Boden verstreut.
Wohin Blake auch schaute, überall Bücher: geisterhaft weiße Bände mit schlichten Umschlägen, die allmählich schwach zu schimmern begannen - ganz wie die Seiten in Endymion Springs Buch. In den Truhen stapelten sich ungebundene Bücher, und auf brüchigen Steinplatten auf dem Boden lagen schwere Papierbogen, zu groß und unhandlich, um sie aufzunehmen. Über allem lag eine dicke Staubschicht. Hier unten sah es eher aus wie in einer Krypta als wie in einer Bibliothek.
Von der Mauer her gähnten ihnen in regelmäßigen Abständen schwarze Türöffnungen entgegen. Blake warf hier und da einen Blick in die dahinter liegenden, noch dunkleren Kammern: Der Raum, in dem sie standen, war wabenförmig von Zellen umgeben.
Duck hatte einen der großen Bogen angehoben. »Steht nichts drauf«, murmelte sie und ließ ihn fallen. Staub wölkte auf, quoll bis in die angrenzenden Kammern, und ein papierenes Gelispel ging durch die Luft. Endymion Spring, schienen die Papierbogen in gespenstischem Refrain zu wispern, Endymion Spring.
Blake fuhr herum. Seine Pupillen hatten sich geweitet, sein Atem ging stoßweise.
Das magische Buch fest in den zitternden Händen, so ließ er sich von dem matten Lichtschein führen wie von einer Laterne. Das war besser als die Taschenlampe. Der Weg, den das Buch zeigte, führte über das verstreut auf dem Boden liegende, schimmernde Papier.
Duck trottete hinter ihm her. Auf den Büchern und Regalen, die sie anfasste, blieben ihre Fingerabdrücke wie Vogelspuren zurück.
Die Räume waren alle gleich: ringsum Bücher mit leeren Seiten, die alle darauf zu warten schienen, dass jemand sie mit Wörtern füllte. Die ganze Bibliothek schien Blake zu beobachten und darauf zu warten, dass er das Letzte Buch fände. Angesichts einer so großen Erwartung fühlte er sich klein und unbedeutend. Er lehnte sich einen Augenblick gegen die Mauer.
Wie als Reaktion auf sein wachsendes Unbehagen fing das Buch in seiner Hand unruhig an zu flattern und zu zucken. Schließlich konnte Blake es nicht mehr festhalten; es fiel zu Boden, und sein tröstliches Licht verlosch.
Der Raum war von einem Augenblick zum andern in tiefste Dunkelheit getaucht.
Ducks Finger krallten sich fest um seinen Arm. »Blake!«, schrie sie auf, und ihre Stimme hallte als schrilles Echo zwischen den Regalen.
Hektisch suchte Blake mit dem Lichtstrahl seiner Taschenlampe den Boden nach Endymion Spring ab.
Da war es. Ein kleiner eckiger Lederband inmitten all der zahllosen feinen weißen Papierbogen.
Als er sich danach bückte, schlug ihm das Herz bis zum Hals: Das Buch öffnete sich nicht an der Stelle mit der Karte, nach der er sich bis jetzt gerichtet hatte, sondern bei der schwarzen Seite in der Mitte.
Die unheimliche Nachricht war immer noch da, aber sie hatte sich geändert - ganz wenig. Blake gefror das Blut in den Adern.
Der Lichtschein der Taschenlampe fiel zitternd auf die schrecklichen Worte:
Die Schatten an den Wänden erschienen ihm plötzlich bedrohlicher.
»Komm!«, schrie er, griff nach Ducks Hand und rannte mit ihr Hals über Kopf davon. Blindlings stürmte er durch die dunklen Räume, ohne sich noch länger mit der Karte aufzuhalten.
»Was stand in dem Buch?«, japste Duck, die kaum Schritt halten konnte.
Ohne zu antworten, stürzte er sich kopfüber in die Dunkelheit und zog sie hinter sich her. Planlos lief er mal in diese, mal in jene Richtung, vorbei an endlosen Reihen stummer, wartender, wachsamer Bücher. Der Lichtstrahl seiner Taschenlampe huschte über die Wände.
Das Rätsel blitzte in seinen Gedanken auf, das Rätsel von neulich:
Hier unten in der Finsternis, in den Tiefen der Bibliothek, kam ihm die Bedeutung
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