Endymion Spring - Die Macht des geheimen Buches
verkauft sein — Bücher im Fenster gehen meistens schnell weg -, aber alles, was heute Morgen da war, habe ich dort ins Regal zu den Neuanschaffungen gestellt. Auf die einzelnen Titel habe ich nicht mehr geachtet. Zur Zeit ist vor allem Science-fiction gefragt.«
Wie zum Beweis zeigte er auf eine Pyramide von Zukunftsromanen, die er im Fenster aufgebaut hatte.
»Äh, danke«, sagte Blake und ging langsam zu dem betreffenden Regal.
Er machte sich an die Arbeit. Das würde schwieriger werden als erwartet. Braune Bücher standen bis fast unter die Decke. Bei manchen hatten sich die Einbände gelöst und wurden von Gummibändern zusammengehalten, andere hatten fleckige Seiten, von denen ihm entweder der Geruch nach Tabak oder der Mief nach feuchten Kirchen entgegenschlug, sobald er sie öffnete. Wieder andere hatten kunstvolle Einbände und hauchdünne Seiten mit Goldschnitt. Aber dann, mehr in den unteren Regalfächern, fand er Bücher mit farbigen Schutzumschlägen, die ihm vielversprechender erschienen. Er kniete sich hin, um sie genauer zu betrachten.
Nach einer Weile merkte er, dass ein Mann dicht hinter ihm stand. Dunkle Hosenbeine berührten fast seinen Rücken, eine Uhr tickte knapp über seinem Ohr. Blake fühlte sich bedrängt, er nahm den Rucksack von der Schulter nach vorn und schützte ihn mit seinem Körper, damit der Mann nicht noch den Papierdrachen im Innern zerquetschte.
Langsam aber zielstrebig nahm der Mann hier und da ein Buch aus dem Regal und stellte es mit einem unzufriedenen Seufzer wieder zurück. Er wusste offenbar genau, was er suchte.
Plötzlich stießen seine Hände dicht an Blakes Schultern vorbei nach unten und griffen nach einem Buch, dass sich Blake gerade hatte ansehen wollen.
»He«, rief Blake, »das wollte ich eben ...«
Er blickte auf und erkannte erschrocken Sir Giles Bentley. Der Mann sah kalt auf ihn herab, die Augenbrauen zusammengezogen wie dunkle Wolken.
Sofort verstummte Blake und schirmte die Bücher, die er noch nicht durchgesehen hatte, vor Sir Giles' Blicken ab. Der blätterte verächtlich schnaubend weiter, riss dabei fast die Seiten ein, überflog gierig den Text.
Blake griff nach dem nächsten Band.
Da ließ ihn eine kleine raschelnde Bewegung im Rucksack jäh innehalten. Er sah hinunter: Die Deckelklappe zuckte. Schon wollte er den Rucksack öffnen und einen Blick riskieren, als er vor sich im Regalfach ein halb verborgenes Buch bemerkte. Es musste durch Sir Giles´ unachtsame Bewegung hinter die anderen Bücher gerutscht sein und war zwischen zwei Fächern eingeklemmt. Gefangen.
Er fischte es mit dünnen Fingern heraus - wie mit einer Pinzette.
Sofort war der Papierdrache im Rucksack still. Blake überlief es kalt: Anders als Endymion Spring hatte dieses Buch nichts Warmes, Tröstliches und Einladendes an sich. Es war dünn, fleckig, unscheinbar, in schwarzes Leder gebunden und bedrohlich wie ein Grabstein anzusehen. Schimmelflecke zogen sich wie Flechten über den Einband, ein undeutliches, einem Schwert ähnliches Symbol war ins Leder geprägt: der Schatten eines Schattens.
Erschrocken schlug Blake das Buch auf - ein scharf geschwungenes F schlug ihm entgegen wie eine Messerklinge. Das Blut stockte ihm fast in den Adern. In roter Tinte gedruckt, verband sich der Anfangsbuchstabe mit anderen spitzen roten Buchstaben zu einem Wort:
Das F passte in seiner Form genau zu dem Schwert auf dem Einband.
Faust War das nicht der, von dem seine Mutter gestern gesprochen hatte? Der Magier, der seine Seele dem Teufel verkauft hatte? Hatte sie nicht geglaubt, dass er irgendwie mit der Legende von dem verlorenen Buch des Wissens zu tun hatte? Dieses geheimnisvolle Buch, das sein Vater hatte finden wollen, was wiederum Sir Giles zu verhindern gewusst hatte.
Blakes Finger zitterten. Was hatte er da entdeckt? Auf dem vorderen Vorsatzblatt standen in ausgeblichener brauner Tinte - eine Farbe wie getrocknetes Blut - Namen aufgelistet: H. Middleton, L. de la Croix, J. Fell, N. Hart... Die ehemaligen Eigentümer des Buches. Nach der Jahreszahl MDCLXVI schätzte Blake, dass das Buch Hunderte Jahre alt sein musste.
Sein Mund war trocken, und ein Schauder ergriff ihn, als er darin blätterte.
Das Buch war in schlechtem Zustand. Viele Seiten waren herausgerissen, an ihrer Stelle hingen nur noch ein paar gezackte Reste im Einband. Das Papier war von Flecken zweifelhafter Herkunft übersät, die sich wie ein Ausschlag durch das ganze Buch zogen. Die eingedellten
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