Endzeit
glücklich darüber, aber wir waren der Meinung, dass es notwendig sei.«
»Eine solche Übereinstimmung wirkt ziemlich befremdlich, wenn man dadurch außen vor bleibt. So wie ich. Wer ist eigentlich wir?«
»Ich, Frazer und Kristin Jonsdottir. Sie ist die …«
»Ich weiß, wer sie ist«, unterbreche ich ihn schärfer als nötig. »Ich habe recherchiert.«
Er schaut mich von der Seite an. »Frazer fürchtete, Sie könnten dagegen sein, Bethany mitzunehmen. Oder Sie hätten zugestimmt und wären dadurch in Schwierigkeiten geraten. Falls Bethany recht hat, stehen viele Menschenleben auf dem Spiel.«
Das kann ich nach Istanbul nicht mehr bestreiten. Und muss den moralischen Konsequenzen ins Auge sehen. Daher unterdrücke |246| ich mühsam und mit leiser Verbitterung den selbstsüchtigen, rebellischen Impuls in mir und konzentriere mich aufs Fahren.
»Alles in Ordnung?«
»Soweit das angesichts der Umstände möglich ist«, sage ich leichthin und werfe ihm ein Cinnamon-Kiss-Lächeln zu, wie man es bei Stewardessen sieht, die eine gefüllte Spucktüte entgegennehmen. »Waren Sie der Entführer oder nur der Helfershelfer?«
»Ich bekenne mich schuldig. Aber es geschah ohne Zwang. Sie hatte keine Einwände. Ganz im Gegenteil.«
Ich kann mir vorstellen, dass für Bethany ein Traum in Erfüllung ging, als sie von einem Katastrophenfreak mit witzigem T-Shirt und Süßwarenlieferservice entführt wurde.
»Wie sind Sie in die Sache hineingeraten?«
»Frazer und ich kennen uns schon ewig. Er war mal kurz bei der noaa.«
Was er mir vermutlich erzählt hat. Was ich vermutlich vergessen habe. »Wo ist er jetzt?« Ich kann nicht anders, streue Salz in die Wunde. Obwohl es wehtut. Weil es wehtut.
»Auf dem Rückweg von Bangkok hat er einen Zwischenstopp in Paris eingelegt. Gestern Abend hat er Kristin angerufen.« Er schaut auf die Uhr. »Er müsste jetzt hierher unterwegs sein.«
Die Eifersucht ist quälend. Der Physiker hat Kristin Jonsdottir und nicht mich angerufen. Natürlich. Sie ist die, mit der er vögelt, und mich hat er nur benutzt, und jetzt benutzt er mich wieder und hält mich für blöd genug, dass ich mitmache – um eine Welt zu retten, die mir immer weniger bedeutet, je mehr ich von ihr sehe.
Hinter meinen Rippen windet sich ein riesiger, giftiger Wurm.
Wir fahren eine Viertelstunde schweigend weiter.
»Halten Sie das Konzept, zuerst an andere zu denken, für überschätzt?«, fragte ich schließlich. Er ist Idealist und glaubt vermutlich, ich würde an die Menschenleben denken, die von der Katastrophe, die Bethany wie eine irre Fata Morgana am Horizont aufziehen sieht, zerstört würden. Er weiß nichts von den Windungen des Wurms in meinem Inneren. Ich denke nämlich an jemanden, |247| den ich durch und durch kenne: mich. An einen bestimmten Physiker, der mein Selbstwertgefühl so gründlich zerstört hat, dass ich vielleicht nie mehr klar denken kann. Ich denke an verlorene Liebe und fehlgeleitete Hingabe und nicht vorhandene Rollstuhlrampen in einer überfluteten Wildnis, an zerschmetterte Hoffnungen und praktische Erwägungen und die Hilflosigkeit, die man empfindet, wenn man allein mit zwei nutzlosen Beinen in einem Tunnel hockt, an dessen Ende kein Licht zu sehen ist.
Ned sieht mich prüfend an. »Wollen Sie damit sagen, dass
Sie
es für überschätzt halten?«
Ich hole tief Luft und atme langsam aus, so wie ich es immer in meinen Entspannungsseminaren propagiere. »Da ich auch nur ein Mensch bin, kann ich diese Frage nicht beantworten.« Ich schaue hinaus auf die Getreidefelder. »Van Gogh beging Selbstmord, nachdem er eine solche Landschaft gemalt hatte.«
»Wenn Sie möchten, können wir anhalten.«
»Mir geht es gut«, sage ich und habe mich endlich wieder im Griff. Dieser Mann hat offenkundig keine Ahnung von meiner Beziehung zu dem Physiker. Ich schenke ihm ein wackliges Lächeln. »Erklären Sie mir die Postkarte mit dem Dudelsackspieler.«
»Ein Ablenkungsmanöver.«
»Ich bin froh, dass Sie Bethany ernst genug nehmen, um eine Gefängnisstrafe zu riskieren. Aber Detective Kavanagh ist kein Idiot.«
»Trotzdem muss er aufwendige Ermittlungen dazu durchführen, das bindet Zeit und Personal, was ihn ziemlich ärgern dürfte.« Der Klimatologe erschlägt ein Insekt auf seinem Unterarm und inspiziert es. »Falls Kavanagh anruft, verraten Sie nicht, wo Sie sind. Sie sagen einfach, Sie würden zurückrufen, und ich sage Ihnen, was Sie dann sagen sollen. Sie machen nur einen
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