Endzeit
Tagesausflug. Heute Abend müssen Sie zurück nach Hadport.«
Die Vorstellung gefällt mir nicht, obwohl sie vernünftig und konsequent ist. Beim Kofferpacken habe ich wohl ein bisschen zu viel Hoffnung, Dummheit oder Selbsttäuschung hineingeworfen.
|248| »Wohin fahren wir?«
»Zu einem Bauernhaus in Norfolk. Es gehört einem Kumpel von mir, er ist Meeresbiologe. Er treibt sich gerade irgendwo am Polarkreis herum und gräbt Tiefseewürmer aus. Er ist einer der weltweit führenden Experten für Biolumineszenz. Kennen Sie die genmanipulierten Reispflanzen, die im Dunkeln leuchten? In Asien experimentieren sie damit. Die Forschungsgrundlagen dafür stammen von ihm – einer seiner Studenten ist zur dunklen Seite übergelaufen.« Er lächelt mich an, aber ich lächle nicht zurück. Neue Fragen tauchen auf.
»Ich habe mir zusammengereimt, dass es um gefrorenes Methan geht, das im Meer gefördert wird.«
»Das legen die Zeichnungen nahe. Kristin war sehr beeindruckt von den Details.«
»Gehört sie zu den Leuten, die Frazer kontaktiert hat?«
»Nicht direkt. Aber man hat seine Mail an sie weitergeleitet. Daraufhin setzte sie sich mit ihm in Verbindung.«
Und sie wurden ein Liebespaar.
»Dann hat er mich angerufen, und ich bin hergeflogen. An der nächsten Abzweigung rechts. Hören wir doch die Nachrichten.«
Er schaltet das Radio ein. Eine blecherne Fanfare verkündet, dass es elf Uhr ist. Weitere Hungerrevolten in Entwicklungsländern. Der Bürgermeister von London hat Unterschlagungen eingestanden. Und der Vater von Bethany Krall, der Psychiatriepatientin, die am Mittwoch aus einem Krankenhaus entführt wurde, appelliert leidenschaftlich an die Entführer, seine Tochter unversehrt freizulassen. Wir sehen uns an, und er stellt das Radio lauter.
»Meine Tochter ist ein sehr krankes Kind«, verkündet Reverend Leonard Krall. Er spricht mit samtiger Stimme, die schwer von Traurigkeit ist. »Sie benötigt dringend psychiatrische und spirituelle Hilfe. Sollten Sie Bethany gesehen haben oder wissen, wo sie ist, rufen Sie bitte die Polizei oder bringen Sie Bethany in Ihrer Kirche in Sicherheit. Wir alle beten für ihre Rückkehr.«
|249| Ned schaltet das Radio aus. Er schaut mich eindringlich durch die Sonnenbrille an. »Überrascht?«
Ich überlege kurz. »Ja, und zwar aus zwei Gründen. Erstens, weil man ihren Namen schon jetzt öffentlich bekannt gegeben hat. Zweitens, weil Leonard Krall sich eingeschaltet hat. In Oxsmith hat er sie nicht ein einziges Mal besucht.«
»Warum jetzt?«
»Ich glaube, dass er sie wirklich und wahrhaftig für gefährlich hält. Er ist ein Anhänger der
Glaubenswelle
: Besessenheit vom Teufel, Kreationismus, Entrückung, das ganze Programm. Joy McConey …«
»Die Therapeutin, die Krebs hat?« Ich nicke. »Frazer hat uns erzählt, dass sie das Gleiche glaubt wie er.«
»Ich vermute, dass Bethany Joys Krankheit bemerkt hat, bevor sie offiziell diagnostiziert wurde. Als Joy sich weigerte, ihr bei der Flucht aus Oxsmith zu helfen, ließ sie sie in dem Glauben, sie hätte den Krebs verursacht. Es hat ihr ein Gefühl der Macht verliehen.«
»Und im Falle einer Katastrophe …« Er braucht den Satz nicht zu beenden, und ich brauche nicht zu antworten. Wir denken in dieselbe Richtung. Falls Bethany durch Leonard Krall und Joy McConey mit der bevorstehenden Katastrophe in Verbindung gebracht wird, haben wir zu allem Übel auch noch eine Hexenjagd am Hals. Das hätte wahrhaft deprimierende Konsequenzen.
»Sie haben sich also auf diese Clathrate spezialisiert?«, frage ich schließlich.
»Nein, aber ich habe bei der noaa viele Szenarien durchgespielt. Darunter auch Methan-Katastrophen. Seit die Energieunternehmen damit begonnen haben, die subozeanischen Hydrate auszubeuten, hat die Bedrohung dramatisch zugenommen. Alle sind scharf drauf, seit das Erdöl knapp wird. China, die USA, Indien. Hunderte von experimentellen Bohrinseln, die überall in der Welt vor den Küsten errichtet werden.«
»Wie kommt man an das Gas?«
|250| Er stößt einen verächtlichen Laut aus. »Indem man russisches Roulette spielt. Man kann heißes Wasser in den Meeresboden injizieren, um die Hydrate zu destabilisieren. Das führt zu einer Druckveränderung und setzt Methan frei. Das Gas bewegt sich durch die Risse nach oben. Dann kann man das Hydrat am Meeresboden verflüssigen und wie Öl und Gas nach oben pumpen. Oder man löst gefrorene Stücke vom Meeresboden und fängt sie in gigantischen Planen an der
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