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Endzeit

Endzeit

Titel: Endzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Jensen
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an.
    »Ich zähle«, sagt Ned und eilt herbei. Ich hole tief Luft, lege meinen Mund über Bethanys und atme in ihre Lungen aus.
    Die nächsten Minuten sind nur ein verschwommener Nebel. Ich schmecke Blut und Rotz.
Wenn ich an ihrer Stelle sterben kann, werde ich es tun. Irgendwie. Mein Leben für ihres geben. Komm zurück, Bethany. Komm zurück
. Meine Lungen sind ganz schwach von der Anstrengung. Ich arbeite an ihr wie eine Maschine, alle meine Reflexe sind wieder da. Einmal lege ich den Kopf zurück und denke, das ist gar nicht mehr Bethany. Es ist Bethanys Leiche. Dennoch zwinge ich weiter Luft in ihre Lungen und bemerke nur flüchtig, dass Kristin Ned abgelöst hat, weil er telefoniert.
    »Einen Krankenwagen. Das Kind hat Krämpfe. Ja. Mund zu Mund und   …«
    »Setz sie hin«, sage ich zu Frazer Melville. Mit einer gewaltigen Bewegung hievt er sie hoch und lehnt sie an seine Brust, sodass er sie halb aufrecht in den Armen hält. Kristin springt beiseite, als er |284| ins Wanken gerät, dann hat er sich wieder gefangen. Ich dachte, ich hätte die dunkelste Zeit meines Lebens hinter mir. Doch ich hatte nicht mit diesem Moment gerechnet.
    »Was jetzt?«, flüstert Kristin.
    »Das hier«, sage ich und schlage Bethany mit aller Kraft auf den Rücken.
    Keine Reaktion. »Gabrielle«, sagt Frazer Melville leise und ergreift meinen Arm, als ich erneut ausholen will. »Gabrielle, siehst du nicht? Es ist zu spät.«
    »Wir haben sie verloren«, sagt Kristin. »Sie ist tot.« Ein leises Schluchzen dringt aus ihrer Kehle, und ihr Gesicht fällt in sich zusammen. Harish Modak sitzt ganz still da, wie eine Mumie.
    »Nein!« Ich reiße mich los und schlage ihr wieder auf den Rücken. »Komm zurück, Bethany!« Als könnte ich sie ins Leben zurückschreien. »Komm zurück!«
    Ned am Telefon hält plötzlich inne. Starrt mich an. Nein, nicht mich. Bethany. Ich kann ihr Gesicht nicht sehen. Er schon.
    »Entschuldigung, falscher Alarm«, sagt er und legt auf.
    Mir entfährt ein Stöhnen. Doch dann geschieht etwas Seltsames. Auf Neds Gesicht erscheint ein verwundertes, ekstatisches Lächeln. Ich schaue zu Harish Modak: Die Miene des alten Mannes spiegelt Neds Ausdruck. Kristins graue Augen werden ganz groß, dann lächelt auch sie. Sie sind alle verrückt geworden. Harish Modaks Stimme klingt wie ein knarrendes Rad.
    »Nun, Miss Bethany Krall«, flüstert er. »Endlich lernen wir uns kennen.«
    Bethany hustet, und mein Herz hüpft wie ein gestrandeter Fisch.
    Rasch setzt Frazer Melville sie hin, und wir können beide sehen, was Ned, Kristin und Harish Modak schon vor uns bemerkt haben: Sie hat die Augen geöffnet und blinzelt. Sie ist am Leben. Sie holt geräuschvoll Luft und hustet krächzend, es kommt tief aus ihrer Brust. Eine riesige blutige Chrysantheme spritzt auf den Boden.
    |285| Ich breche in Tränen aus. Harish Modak kommt steif zu mir herüber, als hätte er Schmerzen beim Gehen. Ich atme schwer, habe mich nicht unter Kontrolle. Bin am Rande der Hysterie. Aus den Augenwinkeln sehe ich, wie Bethany zittert.
    »Es ist vorbei, Miss Fox«, sagt Modak. »Ganz ruhig.«
    Die Stimme klingt heiser, und der indische Akzent ist stärker, als ich gedacht hatte. Er ist alt. Zerbrechlich. Vielleicht auch sehr krank. Er mag zwar ein Zyniker sein, wenn es um die Ausbeutung der Erde durch den
Homo sapiens
geht, aber er ist freundlich. Ich merke, wie sanft er meine Schulter berührt. »Kommen Sie, wir waschen das Blut ab. Ich weiß nicht, was hier geschehen ist, und will es auch gar nicht wissen, aber die junge Dame wird sich erholen. Wenn Sie gestatten, Miss Fox, ich habe eine Auswahl an Alkoholika und Lebensmitteln mitgebracht. Mal sehen, ob wir damit unsere Moral stärken können.« Frazer Melville wendet sich von Bethany ab und kommt zu uns. Anscheinend will er uns begleiten, doch Harish Modak hebt die Hand. »Miss Fox und ich kommen schon zurecht, mein Junge. Sie kümmern sich um Miss Krall, und in Kürze werden wir uns alle beraten.«
    Dann tritt er mit einer altmodisch galanten Bewegung hinter meinen Rollstuhl wie ein Diener, der seiner Königin aufwartet, dreht mich herum und schiebt mich aus dem Zimmer.

|286| 12
    Ich bin bei meinem zweiten Whisky angelangt, und Harish Modak richtet sich im Wohnzimmer ein. Er holt diverse Päckchen aus seiner Kamelleder-Aktentasche, wickelt sie aus und ordnet sie auf dem Couchtisch an. Ich bin von einem Toilettenbesuch zurück, wo ich mir einen heftigen Heulanfall gestattet habe. So habe ich

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