Endzeit
Tür aus. »Ich habe doch gesagt, ich habe jemanden getötet. Damit muss ich leben. Aber ich muss es nicht noch einmal tun.«
»Bitte, können Sie nicht wenigstens warten, bis …« Doch er hat das Zimmer schon verlassen. Es hat keinen Sinn, ihm zu folgen, er hat sich entschieden. Dies war die Abmachung, die er mit Ned, oder, einfacher und wichtiger, mit sich selbst getroffen hat.
Fünf Minuten später ertönt draußen der Motor seines Wagens, und Bethany öffnet die Augen. Ich nehme ihr die Maske vom Gesicht und lasse sie den Mundschutz in meine Hand spucken. Dann reiche ich ihr ein Glas Wasser, das sie gierig hinunterstürzt. Sie sieht noch fertiger aus als vorher. Es ist geradezu obszön.
»Hi, Bethany.«
|279| Sie sieht mich verwirrt an und spricht aus dem Mundwinkel. »Hi, Roller. Es hat nicht funktioniert.«
Die Enttäuschung ist groß, ein hässlicher Nachgeschmack macht sich breit. »Er ist weg.«
»Wieso?« Ihre Unterlippe zuckt.
»Er hatte Gründe, gegen die ich nichts ausrichten konnte.«
Die anderen haben sich in der Küche versammelt und sind in eine düstere Diskussion vertieft.
»Harish Modak hat angerufen«, sagt Frazer Melville und blickt auf. »Er ist unterwegs.«
Hitze durchfährt mich. »Was machen wir jetzt?«
»Keine Ahnung«, sagt er achselzuckend.
Unsere Blicke begegnen sich. Aber ich kann es nicht ertragen. Mein Scheitern hat mich derart erschöpft, dass ich eine schwere Last auf meinen Schultern trage. Ich komme mir vor wie ein Stück Vieh, das in endlosen Kreisen sein Joch schleppt, die Hufe mit Erde verkrustet. Frazer Melville spürt mein Elend und berührt mitfühlend meinen Arm. Als ich erstarre, zieht er die Hand wieder weg.
»Reden wir mit Bethany«, schlage ich vor. »Vielleicht ist doch etwas angekommen.«
Die anderen folgen mir ins kleine Wohnzimmer, wo sie auf dem Sofa liegt und ihre verletzten Hände inspiziert. Der lange Verband schlängelt sich auf dem Boden wie eine Riesennudel.
»Er hat gesehen, dass ich noch mehr vertragen kann, aber der Arsch hat gekniffen!«, zetert sie. »Und ihr habt ihn gehen lassen! Ich habe es doch gesagt, Roller. Ich brauche dreißig Sekunden. Dann hätte es auch funktioniert.«
»Und du hast ganz bestimmt nichts gesehen?«
»Das wissen Sie doch!«, explodiert Bethany. »Weil ich nicht genügend Strom bekommen habe!«
»Das lässt sich nicht ändern«, sage ich. Ich fühle mich ausgelaugt und hilflos und meinem eigenen Körper seltsam entfremdet. |280| Es ist, als würde ich mich selbst aus einiger Entfernung betrachten.
»Natürlich lässt es sich ändern«, sagt sie, stützt sich auf die Ellbogen und zuckt dabei vor Schmerz zusammen. »Wie dumm seid ihr eigentlich? Wir haben doch die Maschine. Und ihr wisst, wie man sie bedient. Also los.«
Kristin Jonsdottir reißt die Augen auf, und Frazer Melville wirft mir einen unbehaglichen Blick zu. Ned streicht sich über die Bartstoppeln.
»Das ist nicht dein Ernst«, platzt Frazer Melville heraus. »Es könnte dich umbringen.«
»Keine Sorge. Na los«, sagt sie und deutet wackelig auf das kleine Gerät. »Das Ding kann doch ein Vierjähriger bedienen. Und Roller auch. Jeder von euch.
Tut
es einfach. Ich brauche dreißig Sekunden. Dieser Professor ist unterwegs, oder? Also los jetzt. Solange ihr euch noch traut. Nicht lange überlegen, tun.«
Kristin weicht zurück. Sie sieht auf einmal kleiner aus, als wollte sie sich aus dem Raum schrumpfen. Frazer Melville steht reglos da. Er öffnet den Mund, um etwas zu sagen, sieht mich fragend an und schließt ihn wieder. Ich weiß, was er denkt.
»Nein«, sage ich.
»Jesus!«, faucht Bethany. »Sie verdammter Feigling! Wenn Sie es schon nicht für mich tun, dann tun Sie es für all die Leute, die Ihrer Meinung nach wert sind, gerettet zu werden. Blöde Kuh!«
Ich sehe die Regler an der Maschine an, dann Bethany. Sie bebt vor Zorn. Ich frage: »Meinst
du
denn, dass sie es wert sind, gerettet zu werden? Würdest du dein Leben für sie riskieren?«
»Sie sind vielleicht bescheuert. Es geht nicht um andere Leute. Es geht um mich. Mein Leben ist ohnehin im Arsch. Also tun Sie es einfach.«
»Beihilfe zum Selbstmord? Nein, danke.«
»Na schön«, sagt sie mit einem tiefen Seufzer. »Also erzählen wir Roller, was sie gern hören möchte. Ich
liebe
das Leben. Ich kann gar nicht genug davon bekommen. Ich möchte diese herrliche |281| beschissene Welt lobpreisen. Ein gewisser Spasti hat mir mit seinem magischen Psychoblabla die Augen für
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