Endzeit
pflegt, und fügt hinzu, dass die Bilder völlig normal ausgesehen hätten.
Ich wähle noch einmal, als ein lautes Keuchen vom Rücksitz ertönt. Ich drehe mich um. Bethany erbebt, hat Augen und Nasenlöcher weit aufgerissen. »Es hat angefangen!«, flüstert sie. »Ich kann es spüren!« Ihr Mund ist seltsam verzerrt. Sie versucht, in tiefen Zügen Luft zu holen, verschlingt sie förmlich.
»Bethany?«, frage ich, aber sie ist ganz woanders. Sie krümmt sich, als hätte man ihr in den Magen geboxt. Ihre Handgelenke sind noch gefesselt, aber sie umklammert schützend mit beiden Händen den Kopf, während ihr ganzer Körper in wahnsinnige |362| Zuckungen verfällt. »Oh Gott«, murmele ich. »Bitte nicht jetzt, Bethany.«
»Ich gehe zu ihr«, sagt Frazer Melville und springt aus dem Auto. Bethanys Kopf schnellt ruckartig nach hinten. Sie stößt einen hohen, unmenschlichen Schrei aus, wie das Pfeifen eines Dampfkochtopfs, und verdreht die Augen, dass nur die blutunterlaufenen Augäpfel zu sehen sind. Dann zuckt sie wieder hoch, und das ganze Auto erbebt unter ihren Krämpfen. Frazer Melville reißt die Hintertür auf und versucht Bethany mit seinem ganzen Gewicht niederzuhalten. Sie kämpfen auf dem Rücksitz, rutschen halb aus dem Auto. Aus dem Augenwinkel sehe ich, dass ein Ordner uns bemerkt hat. Er gibt seinem Kollegen ein Zeichen, deutet auf den Wagen und kommt herüber. Sein schlanker Körper gleitet zwischen den parkenden Autos hindurch. Er ist jung und schlaksig, mager wie ein Fohlen. Die Uniform hängt locker an ihm herunter. Frazer Melville ist es irgendwie gelungen, Bethany die Füße auf den Boden zu drücken und sie in eine sitzende Position zu hieven. Dann setzt er sich neben sie und knallt die Tür zu.
»Schnell, binde sie los«, dränge ich. Der junge Ordner kommt näher. Schon hat Frazer Melville sie befreit.
Der junge Mann späht besorgt in den Wagen. »Alles in Ordnung da drinnen?«
Die Krämpfe haben sich zu einem Zittern abgeschwächt. Bethany öffnet den Mund und schluckt eine große Menge Luft.
»Alles bestens«, sage ich und öffne das Fenster einen Spalt breit. »Nur ein aufgeregtes Mädchen.« Doch er wirkt misstrauisch. Er merkt, dass etwas nicht stimmt. Vielleicht hat er uns erkannt.
Bethany bewegt die Lippen, sie sind ganz grau geworden. Sie will etwas sagen. Muss husten. »Ich habe gemerkt, wie es anfängt«, würgt sie hervor. Ihre Stimme klingt schwach und fern wie die eines Geistes.
Frazer Melville schaut an ihr vorbei auf einen der riesigen Fernsehschirme. »Sie hat recht«, sagt er. »Seht nur.«
|363| Die Journalisten auf Buried Hope Alpha springen auf und rufen durcheinander. Etwas hat sie aufgeschreckt. Etwas, das wir nicht sehen können.
»Ich heiße Calum. Ich gehöre zum Stadion-Team«, sagt der junge Ordner. Er gibt nicht auf. »Brauchen Sie einen Arzt?«
»Danke, es geht ihr gut, Calum. Wir sehen uns nur die Nachrichten an«, sage ich kraftlos und deute auf den Fernseher. »Da passiert etwas.«
In der Tat. Plötzlich erzittert das ganze Bild. Lars Axelsen hält sich an einem Stuhl fest, wird aber abrupt in die andere Richtung geschleudert und verschwindet aus dem Bild. Die Kamera zoomt weg, wackelt epileptisch und schlägt einen Purzelbaum. Sie muss auf den Boden gefallen sein. Man sieht rennende Füße, das Bild steht auf dem Kopf. Wildes Geschrei. Dann ein lauter Knall. Calum reißt die Augen auf.
»Ein Vorbeben«, murmelt Frazer Melville.
Ein neues Bild, diesmal eine Luftaufnahme, zeigt die hell erleuchtete Bohrinsel, die heftig von links nach rechts schwankt. Dann verharrt sie reglos. Doch schon eine Sekunde später neigt sich das gesamte Bauwerk langsam und träge zur Seite, bis es in einem unmöglichen, der Schwerkraft trotzenden Winkel über dem Wasser hängt. Dann versinkt der ganze Aufbau mit geradezu ballettartiger Eleganz im Meer. Ein grelles Orange lodert auf, dann verlöschen nacheinander die Lichter. Es geht zu schnell, um es zu begreifen. Innerhalb von zwei Sekunden ist die gesamte Bohrinsel lautlos in den Wellen versunken.
Finsternis. Als hätte es sie nie gegeben.
»Ich hab’s euch doch gesagt«, flüstert Bethany. »Ich hab’s euch gesagt. Es hat angefangen.«
Die Verbindung bricht ab, der Bildschirm flackert und wird dunkel. Bevor ich sie zurückhalten kann, ergreift Bethany die Gelegenheit, packt Calum am Arm, zieht ihn ganz nah an sich heran und legt den Mund an sein Ohr. Er schreckt zurück, doch sie klammert sich an seinen Ärmel.
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