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Endzeit

Endzeit

Titel: Endzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Jensen
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unter derart starken neuropathischen Schmerzen im unteren Rücken und den toten Gliedmaßen, dass ich irgendeinen Halt finden musste, um nicht den Verstand zu verlieren. Die Schmerzen und meine Trauer um Alex, Max und meine Beine klafften wie eine offene Wunde, die mich tagtäglich zu einer inneren Diskussion über das Thema Selbstmord veranlasste. In den wenigen Stunden, in denen ich anderen Rollstuhlfahrern dabei zusah, wie sie in schimmernden Metallgefährten dahinrasten, konnte ich jedoch den Schmerz bisweilen aus meinem Bewusstsein verdrängen. Danach kehrte die Qual umso grausamer zurück, und das Leben wurde wieder zur Routine. Dennoch veränderte sich etwas in mir. Diese Sportler hatten eine Hoffnung aufgezeigt, ein Ziel, das man anstreben konnte, einen eindeutigen Beweis dafür, dass das Unvorstellbare, das Leben in einer völlig anderen Form, möglich war. Dass der Geist siegen konnte. Ich war so schlau, danach zu greifen wie eine Ertrinkende.
    Jener Tag hat mich verändert.
    Und der heutige   …
    |360| Wenn ich an Gott glauben würde, würde ich ihn jetzt um Hilfe bitten.
    Als wir auf den Parkplatz an der Ostseite fahren, dringen dünne Sonnenstrahlen durch die Wolken und fallen glitzernd auf die Dächer und Motorhauben der zahllosen Autos, werden in kaleidoskopisch schimmernden Fragmenten reflektiert. Von fern ertönt rhythmische Gebetsmusik aus der weiten Wiege des Stadions. Die riesigen Bildschirme an den Außenseiten sind eingeschaltet. Große Gruppen elegant gekleideter Gläubiger streben zu den breiten Fußgängerbrücken, die die Wasserläufe rund um die Insel überspannen, und ihr Stimmengewirr beschwört die lockere Atmosphäre eines Freundschaftsspiels herauf. Es wird gelächelt und gezwinkert, gejohlt und gewinkt, man ruft sich Segenswünsche zu. Eine hübsche Frau in gelber Uniform mit marineblauen Schulterstücken weist uns an, den Autos bis zum Ende des Parkplatzes zu folgen, und ruft uns nach: »Christus sei mit euch!«
    Wir parken, und ich schaue zurück zum Stadion. Auf einem Bildschirm sieht man, wie sich die Ränge füllen, während fünf oder sechs weiß gekleidete Prediger das Publikum schwungvoll aufwärmen. Auf einem anderen Bildschirm zeigt BBC News 24 mit der Schlagzeile
Großbritannien im Chaos
Bilder, die auch im Miniaturformat in unserem Autofernseher zu sehen sind. Ich reiche Frazer Melville die Wasserflasche. Er nimmt einen Schluck und gibt sie mir zurück.
    »Wenn der Hubschrauber uns abholen soll, müssen wir reingehen«, sage ich. Das Gefühl der Beklemmung wächst wie unter einer langsamen Folter. Wenn ich nicht bald aus diesem Auto rauskomme, wird die Klaustrophobie siegen. Frazer Melville ist noch immer blass. Auch an ihm ist die Reise nicht spurlos vorübergegangen.
    »Mit deinem Rollstuhl werden wir nicht lange unerkannt bleiben. Wir waren mit Namen und Foto im Fernsehen, man hat unsere Verbrechen geschildert, alles ist da auf den riesigen Bildschirmen zu sehen.«
    |361| »Dann bleiben wir eben hier und ertrinken!«, schlägt Bethany fröhlich vor. »Wir könnten zusammen sterben, wie eine Familie!«
    Ich klappe das Handy auf. »Ich versuch’s noch mal bei Ned. Falls ich ihn erreiche, wissen wir wenigstens, wo sie sind. Und können ihnen sagen, dass wir angekommen sind. Sie müssten die Pressekonferenz inzwischen beendet haben, oder?« Frazer Melville nickt. Ich wähle, komme aber wieder nicht durch. Um uns herum führen gelb gekleidete Ordner die Leute zur Fußgängerbrücke. Während ich noch einmal die Nummer eintippe, gibt es im Fernsehen eine Liveschaltung zu Buried Hope Alpha. In der pechschwarzen Dunkelheit über der Nordsee ist nur die Bohrinsel in helles Licht getaucht, das zum Himmel empor und hinaus über den tobenden Ozean zu pulsieren scheint. Eine verzauberte Festung. Lars Axelsen, der Leiter der Bohrinsel, beantwortet die Fragen einer Gruppe Journalisten im Anorak, die für eine improvisierte Pressekonferenz eingeflogen wurden. Dort draußen ist es zweifellos eiskalt. Tief unter ihnen wogt die schwarze See. Ich wähle erneut, immer noch keine Verbindung. Axelsen und ein weiterer Offizieller von Traxorac erklären, es gebe keine Hinweise auf ungewöhnliche Aktivitäten am oder unter dem Meeresboden. Es folgen weitere Fragen. Ich stelle den Ton leise. Das Handy habe ich ans Ohr gedrückt. Ich kann einfach nicht akzeptieren, dass es keine Verbindung gibt. Lars Axelsen zeigt den Tauchroboter, mit dem die Firma Aufnahmen des Bohrgestänges zu machen

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