Endzeit
eure Fehler auch nicht vergeben.«
Ihr Lächeln wirkt verstörend. Es gehört jemand anders, nicht der Bethany, die ich kenne, sondern einer anderen Bethany, einem gesunden, netten, normalen Mädchen, das früher Klamotten in der Fußgängerzone gekauft hat und bei Facebook war und im Kino über einem Eimer Popcorn gekichert und an das geglaubt hat, was in der Bibel steht. »Nun, Reverend, was hat Matthäus Ihrer Ansicht nach damit gemeint?«
Man führt uns vom Parkplatz in Richtung der östlichen Fußgängerbrücke. Bethany geht einige Meter vor uns, flankiert von zwei Aufpassern. Auch uns hat man jeweils einen stämmigen, beharrlich schweigenden Ordner zugeteilt. Frazer Melvilles Begleiter ist fast so groß wie er, neben mir geht eine gedrungene und gesund-unscheinbare Frau mit dem kräftigen Rumpf eines |369| Ochsen. Die Sonne ist hinter grauschwarzen Dampfspiralen verschwunden, die sich am Horizont übereinandertürmen wie geologische Schichten. Ich atme tief ein und aus. Trotz der bedrohlichen Gegenwart der Sicherheitsleute tut es gut, aus der Enge des Wagens befreit zu sein und die stählernen Ränder meiner Räder unter den Händen zu spüren. Mich überkommt eine leise Zuneigung zu meinem Rollstuhl. Ich kenne Leute, für die er kein verhasstes Symbol ist, sondern eine natürliche Erweiterung ihres Körpers, die sie geradezu lieben. Ich habe nie geglaubt, dass ich auch einmal so empfinden könnte. In diesem Augenblick aber kann ich diese Leute verstehen.
Beim Näherkommen können wir spüren, dass die Stimmung der Menge zu einem Gebräu aus Ekstase, Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit geronnen ist. Der Sturz der Bohrinsel und der Ausdruck »hohes Tsunami-Risiko« werden von tausend Gehirnen verarbeitet und unterschiedlich aufgenommen. Manche sind wie vor den Kopf geschlagen angesichts des spektakulären Untergangs von Buried Hope Alpha, stehen da wie Schlafwandler, die man abrupt geweckt hat, während andere offen jubeln und mit ihren lachenden Kindern über die breite Fußgängerbrücke strömen. Einige junge Polizisten versuchen, die Fahrer zu beruhigen, die den Parkplatz verlassen wollen und vom hereinflutenden Verkehr behindert werden. Es ist ein hoffnungsloses Unterfangen. Die Polizei ist in der Unterzahl und völlig überfordert. Hinter dem Flaschenhals, den die Brücke bildet, strömen die Menschen auf den Vorplatz des Stadions und versammeln sich an den Verkaufsständen, die wie riesige Kieselsteine aussehen, umarmen und küssen einander. Manche haben den panischen, gehetzten Blick von Flüchtlingen, die nach Informationen gieren. Eine Gruppe Männer, die wie Veteranen des Irakkrieges aussehen, hat sich an einem Brunnen versammelt. Sie diskutieren und gestikulieren heftig. Ganze Familien klettern auf die Stände, hieven ihre Habseligkeiten hoch und machen es sich auf den gewölbten Dächern bequem. Hunde, die lange im Auto gesessen haben, reagieren auf |370| die Ballung menschlicher Stresshormone und bellen wie wahnsinnig. Über alldem ruft eine elektronische Glocke die Gläubigen zum Gebet. Die Menschen drängen durch die Plastikvorhänge, die das Innere des Stadions vom Vorplatz trennen. Die Mülleimer quellen über, es riecht nach Fish and Chips. Überall verschlingen Familien mit konzentrierter Dringlichkeit ihr Essen, als wollten sie sich vor der Reise ins Unbekannte noch einmal den Magen füllen. Neben einer mit Beeren gesprenkelten Eberesche hat eine ältere Frau mit leerer, seelenvoller Miene die Arme um den Körper geschlungen und wiegt sich rhythmisch in einem sonderbaren, einsamen Tanz. Auf ihrem Rock ist ein dunkler Urinfleck zu sehen. Daneben schlagen zwei stämmige Männer mit verbissenem Eifer aufeinander ein. An den Rändern des Vorplatzes, neben den Wasserläufen, starren Gruppen von Erwachsenen und Kindern reglos auf die riesigen Nachrichtenbildschirme.
Ich verliere Bethany vorübergehend aus den Augen. Als ich sie wieder sehen kann, halten die beiden Ordner ihre Ellbogen umklammert, vermutlich hat sie einen Fluchtversuch unternommen. Ein blondes junges Mädchen spuckt sie im Vorbeigehen an und hinterlässt einen schaumigen Spritzer auf ihrem Rücken. Wut schießt in mir hoch. Bethany hat nichts gemerkt und geht weiter, bewegt sich mit unregelmäßigen, marionettengleichen Schritten, als bemühe sie sich, den Rücken gerade zu halten. Als wir an dem blonden Mädchen vorbeikommen, verliere ich die Beherrschung und packe sie am Arm.
»Wie kannst du es wagen, dich so zu
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