Endzeit
sind also mit Dr. Melville bekannt? Aber nicht eng befreundet? Nach Aussage von Dr. Sheldon-Gray haben Sie einander auf einer Wohltätigkeitsveranstaltung hier in Hadport kennengelernt. Die Sie beide früh verlassen haben, wodurch Ihnen das Buffet und die Tombola entgangen sind.« Mir ist klar, worauf er hinauswill.
»Buffets liegen mir am nächsten Tag immer so schwer im Magen. Und bei einer Tombola habe ich noch nie Glück gehabt. Dr. Melville zeigte sich an Bethany interessiert.«
»Also haben Sie ihm von ihr erzählt?«
»Ich habe nicht gegen die Schweigepflicht verstoßen, falls Sie das meinen.« Streng genommen entspricht das nicht ganz der Wahrheit. »Er ist ihr einmal begegnet, das ist alles. Auf meinen Vorschlag hin. Er wollte ihr Interesse an Naturwissenschaften fördern. Mir war nicht klar, worauf das hinauslaufen würde.« Ich bin keine gute Schauspielerin, das hat schon mein Auftritt als religiös verwirrte Penny gezeigt. Aber ich füge besorgt hinzu, dass ich unbedingt dabei helfen möchte, Bethany zu finden, und dass er mich alles fragen könne und müsse.
»Sind Sie sich darüber im Klaren, dass Dr. Melville Bethanys psychotische Visionen ernst genug genommen hat, um Wissenschaftskollegen darauf anzusprechen, was seine Vorgesetzten sehr beunruhigt hat?«
Ich nicke beschämt und erkläre, dass ich mir die Schuld daran gebe. Ich hätte erkennen müssen, dass Frazer eine ungesunde Besessenheit an den Tag legte, wenn es um Bethanys Ideen ging. Vor allem, da meine Vorgängerin Joy McConey in dieselbe Falle getappt sei. »Bethany kann sehr überzeugend sein«, sage ich mit Nachdruck. »Ihre Wahnvorstellungen können ansteckend |232| wirken. Bei einem Fall wie ihrem ist die Gefahr groß, sich damit zu identifizieren.« Ich schaue zu Boden und lasse mir Zeit, bevor ich ihn wieder ansehe. Es ist, als wären wir beide unter einer Käseglocke gefangen. »Dr. Sheldon-Gray scheint zu glauben, auch ich sei davon betroffen.« Er wirkt interessiert. »Obwohl ich das kategorisch abstreite.« Damit hat er vermutlich nicht gerechnet. Ich warte, bis er meine übersprudelnde Ehrlichkeit und mein leidenschaftliches Verlangen, der Polizei beim Rätsel des schurkischen Physikers zu helfen, verdaut hat. »Dr. Melville hat eine schwere Zeit hinter sich«, fahre ich fort. »Seine Mutter ist vor Kurzem gestorben, und das hat ihn tiefer getroffen, als er zugibt. Irgendwie ist ihm alles über den Kopf gewachsen. Leider sehen wir Psychologen nicht immer das Offensichtliche, selbst wenn es uns fast anspringt.«
»Wie also erklären Sie sich seine Abreise, kurz bevor Bethany entführt wurde? Reiner Zufall?«
»Gewiss ist es keine Überraschung. Er musste unbedingt einen Schnitt machen. Er erzählte etwas von einer Exkursion. Seine Mutter war gestorben, im Job wurde er kaltgestellt, die Begegnung mit Bethany hatte ihn verwirrt. Also habe ich gesagt, dann fahr doch, um Himmels willen. Ich bin froh, dass er meinen Rat beherzigt hat.«
»Haben Sie irgendeine Vorstellung, was Dr. Melville in Thailand macht? Auf dieser Exkursion?«
Ich konzentriere mich auf die Tischplatte. Sie ist aus Holzlaminat. Man fotografiert Holz und projiziert es auf Kunststoff. Der Realismus ist herzzerreißend. Der Kriminalbeamte rutscht ungeduldig auf seinem Stuhl hin und her. Aktive Männer sitzen nicht gern hinter Schreibtischen fest.
»Es tut mir leid, das zu sagen, aber wenn ich an Frazers … Neigungen denke, dürfte Exkursion ein ziemlicher Euphemismus sein.« Kavanaghs Augenbrauen schießen in die Höhe. Ich genieße meinen kleinen Racheakt. »Ihr Fachgebiet ist das Verbrechen, meines die Psyche. Wir beide haben im Beruf mit ungesunden |233| Impulsen zu tun. Mir gefällt vieles nicht, was Menschen tun. Das heißt aber nicht, dass es nicht existiert.«
»Könnten Sie das etwas präzisieren, Ms. Fox?«
»Na, kommen Sie, ist das wirklich nötig?« Er hebt wie zur Bestätigung das Kinn. »Also schön. Frazer Melville ist ein einsamer, übergewichtiger, alleinstehender Mann mittleren Alters, der nach dem Tod seiner Mutter eine schwere Zeit durchmacht.«
»Ihre Vermieterin Mrs. Zarnac scheint zu glauben …«
Ich schüttle lachend den Kopf. »Mrs. Zarnac hat wenig zu tun und eine ausufernde romantische Phantasie. Sie ist eine treue Abonnentin der Zeitschrift
True Life
, die sich, wie Sie sicher wissen, auf Geschichten spezialisiert, in denen finanziell und körperlich benachteiligte Menschen ungeheure
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