Endzeit
Schwierigkeiten überwinden und ewige Liebe finden. Es tut mir leid, dass ich sie so enttäusche. Sehe ich wirklich aus, als hätte ich ein Sexleben?«
Das scheint ihn zu bremsen. »Dr. Melville war einmal verheiratet«, sagt er in warnendem Ton, als wollte ich ihn auf den Arm nehmen.
»Mit einer Lesbe. Das können Sie gern nachprüfen.«
Wie erwartet ist das Thema damit erledigt. Im nachfolgenden Schweigen sehe ich – und sicher auch Detective Kavanagh – im Geiste, wie Frazer Melville einem Ladyboy in einer Bar in Bangkok einen fruchtigen Cocktail spendiert. Sehen wir beide die Blume in seinem Haar und die traurigen, minderjährigen Augen? Ich blicke bedauernd drein, und wir erlauben uns eine kleine Grimasse. Es gibt viel zwischen Himmel und Erde, aber wir müssen nicht alles gutheißen. Vielleicht bedauern wir beide, dass ich einen Mann wie Dr. Frazer Melville zu meinen Bekannten zähle, aber ich bin verkrüppelt und kann daher nicht wählerisch sein. Der Ermittler zuckt mit den Schultern, als wollte er den üblen Nachgeschmack unserer Thai-Vision vertreiben.
Dann wechsle ich das Thema. »Was ist mit Bethanys Vater? Ich nehme an, er wurde über die Verletzung und den Krankenhausaufenthalt informiert.«
|234| Detective Kavanagh betrachtet seine Hände, als wären sie intelligente Wesen, die er um Rat fragen könne. »Dr. Sheldon-Gray hat mir von Ihrem ungewöhnlichen Besuch bei Leonard Krall erzählt.« Er wartet auf eine Reaktion, doch meine ganze Aufmerksamkeit gilt dem Laminat. »Zufällig besitzt der Reverend ein Alibi. Aber sprechen wir doch über Ihre Begegnung mit ihm. Ist es üblich, dass Sie die Eltern Ihrer Patienten inkognito aufsuchen?«
»Nein.«
»Warum dann in diesem Fall?«
»Weil Bethany Krall eben ein höchst ungewöhnlicher Fall ist. Ich hatte wohl gehofft, bei ihrem Vater einen Schlüssel zu ihrer Heilung zu finden.«
Wieder betrachtet er seine Hände. Ich kann mir vorstellen, wie sie in einem Fitnessstudio die Gewichte umfassen. »Und, haben Sie das?«
Er schaut mich scharf an, und ich halte seinem Blick stand. Die Röte, die mir von der Brust bis ins Gesicht schießt, spiegelt mein endgültiges und absolutes Scheitern. »Nein, das habe ich nicht.«
Zu Hause finde ich einen Brief von der Bezirksverwaltung auf der Fußmatte, zusammen mit einem Haufen Werbung. Der Inhalt überrascht mich nicht weiter, aber ich fühle mich dennoch in meiner Berufsehre gekränkt, als ich die sorgsam formulierten Absätze der stellvertretenden Personalchefin Ms. Stephanie Buckton lese. Sie erinnern mich an die Zeugnisse, die ich in der Klosterschule erhielt:
Gabrielle ist eine begabte und intelligente Schülerin, neigt aber dazu, sich das Leben schwer zu machen.
Ist das jetzt wieder passiert? Habe ich es zu weit getrieben?
Anscheinend schon.
Ich werde vom Dienst suspendiert. Mit sofortiger Wirkung.
Meine Entrüstung verwandelt sich in Zorn. Wäre Ms. Stephanie Buckton in der Nähe, würde sie Bekanntschaft mit meinem Donnerei machen.
Ich werfe den Brief in den Papierkorb, rolle in die Küche und |235| spritze mir kaltes Wasser ins Gesicht. Dann schleudere ich zornig die Werbung in den Müll. Da bemerke ich die Postkarte. Beinahe hätte ich sie übersehen. Ich kenne niemanden, der Postkarten schickt: Sie gehören zur vergangenen Ära der Großtanten, Tortenspitzen aus Papier und Thermoskannen mit Kaffee. Doch da liegt sie, ein buntes Rechteck. Vor dem Hintergrund von Edinburgh Castle ist ein Dudelsackspieler in Kilt und Sporran-Tasche zu sehen, die nackten Knie stolz und behaart, die Wangen komisch aufgebläht. Ich drehe sie um. Auf der Rückseite eine vertraute Handschrift. Eine Handschrift, die ich zum ersten Mal in meinem Büro gesehen habe, auf der Abschiedskarte für Joy McConey.
Hi Roller,
sieht aus, als müsste ich weg, ohne mich zu verabschieden.
Immer cool bleiben, mir geht’s prima.
Elektrische Grüße,
Kind B.
Manchmal ändert man instinktiv die Richtung. In einem Wimpernschlag. Und schon entfaltet sich eine neue Landkarte vor einem, mit Straßen, die man bisher nicht kannte. Straßen, denen man vielleicht sein Leben anvertrauen muss.
Ich vertraue meinem Instinkt, fahre noch einmal zur Polizeiwache und händige die Postkarte dem diensthabenden Beamten aus. Dann warte ich eine halbe Stunde, bis ich in einer winzigen Büronische, die mit Plakaten über Verbrechensstatistiken und Hotlines für Betrugsopfer tapeziert ist, mit Detective Kavanagh sprechen kann. Er
Weitere Kostenlose Bücher