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Endzeit

Endzeit

Titel: Endzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Jensen
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einem Paar zusammengerollter Socken bewerfe. Ich treffe daneben, was mich noch wütender macht. Der Mensch, den ich am meisten hasse, bin ich selbst.
    Auch ich bin einmal die andere Frau gewesen. Alex sagte immer, |226| dass seine Frau nichts von unserer Affäre ahne. Sie sei zu vertrauensvoll, sich seiner zu sicher, zu sehr mit ihrer Karriere und den Kindern beschäftigt, um die Zeichen zu erkennen: die langen Abende im Büro, die Geschäftsreisen in Länder, in denen die Zeitverschiebung sein Alibi unterstützte, der Geruch frischer Seife nach einem langen Arbeitstag. Doch wenn sie etwas vermutet und mich angerufen und sich vorgestellt hätte, hätte ich zweifellos gesagt: »Es tut mir leid. Ich weiß, wer Sie sind. Aber ich habe Ihnen nichts zu sagen.« Und hätte eingehängt.
    Bethany bleibt unter Beobachtung im Krankenhaus, ständig von zwei Psychiatriepflegern überwacht. Um mich von dem Geschehenen abzulenken, mache ich Überstunden, fünf Kollegen sind krank. Der Physiker ruft nicht an. Warum sollte er auch, nun, da er hat, was er die ganze Zeit haben wollte: die Informationen, die er brauchte, und eine Kollegin, mit der er vögeln kann. Um sieben Uhr morgens fahre ich nach Oxsmith und komme zwölf Stunden später erschöpft nach Hause. In meiner Freizeit schlafe ich. Einmal rufe ich leicht angetrunken den Physiker an – wähle alle drei Nummern   –, doch niemand meldet sich. Er hat sein Handy ausgeschaltet. Ich hinterlasse keine Nachricht. Fühle mich verlassen.
    Dennoch bleibt ein winziger Funken Hoffnung, ein hartnäckiges Virus, das ich nicht loswerde.
Das heute ist nie geschehen.
    Was hat er damit gemeint?
    Ich räume gerade die Spülmaschine aus, als das Telefon klingelt. Es ist Dr.   Sheldon-Gray, zornig und kurz angebunden. Ich sehe ihn in seinem selbstgerechten rosa Hemd vor mir, das Telefon ans Ohr geklemmt. »Bethany Krall ist verschwunden«, verkündet er. »Aus dem Krankenhaus. Gestern Abend.« Der Druck in meinem Inneren verändert sich. Als ich mich nach Einzelheiten erkundige, benutzt er das Wort
entführt
. »Anders gesagt, jemand hat sie rausgeholt.«
    Das heute ist nie geschehen.
Ich schließe die Augen, um das Schwindelgefühl loszuwerden. »Wie?«
    |227| »Wer immer das war, hat genau den richtigen Moment abgepasst. Kelly war eine Zigarette rauchen, und Mike behauptet, er sei auf der Toilette gewesen, hat in Wirklichkeit aber ein langes Telefonat geführt. Jemand hat sich als Chirurg verkleidet, ist in ihr Zimmer gegangen, hat sie geweckt, ihr einen Overall mit O P-Haube und Maske angezogen, und weg waren sie. Zwei Ärzte, einer davon ein Kind, sind in aller Gemütsruhe zum Parkplatz geschlendert. Ich habe die Aufnahmen der Überwachungskamera gesehen. Bethany hat sich sogar umgedreht und der Kamera den Stinkefinger gezeigt. Ein Skandal. Irgendwelche Hinweise?«
    Ich bin entsetzt, spüre aber auch eine sonderbare Erregung, einen bizarren Triumph. Bethany ist bei Menschen, die aus altruistischen Motiven handeln, wer auch immer sie sein mögen, gewiss besser aufgehoben als in Kiddup Manor, der Endstation. Ich sage meinem Chef, wie furchtbar das sei, dass ich nichts darüber wisse und mir auch nicht vorstellen könne, wer dahinterstecke. Gewiss müsse derjenige ebenso verrückt sein wie Bethany. Sheldon-Gray scheint fürs Erste besänftigt, erklärt, er habe weitere Anrufe zu erledigen, und hängt grußlos ein.
    So leicht komme ich allerdings nicht davon. Zehn Minuten später klingelt es an der Tür, und ich sehe mich einem jungen Polizisten gegenüber, dessen Hightech-Streifenwagen unmittelbar neben meinem Auto parkt. Mrs.   Zarnac beugt sich mit unverhohlener Schadenfreude aus dem Fenster, angetan mit ihrer Vorstellung von einem erotischen Nachthemd. »Ich hab’s im Radio gehört!«, ruft sie herunter. »Das verrückte Mädchen aus Oxsmith, war die von Ihnen? Haben Sie gehört, dass sie weggelaufen ist?«
    »Ich warte fünf Minuten, bis Sie so weit sind«, sagt der Polizist. »Dann fahren wir aufs Revier, um ein Protokoll aufzunehmen, und ein Ermittler wird Sie befragen. Wenn Sie einverstanden sind, Madam.«
    Das Wort Madam macht die Sache irgendwie ernster.
    Ich fliege nach Südostasien. Du kannst eigenständig denken.
    Während der junge Polizist an der Tür wartet, suche ich in der |228| Handtasche nach meinem Lippenstift. Es ist eine Sache, seinen Chef frohgemut zu belügen, aber Meineid und Justizbehinderung sind Vergehen, für die man im Gefängnis landen kann. Vor dem Spiegel

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