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Endzeit

Endzeit

Titel: Endzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Jensen
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fallen mir Geysire, Finanz- und Fischereikrise ein. Von nun an werde ich jedoch an andere, persönlichere Dinge denken.
    Denn die Gesichtszüge, die Kopfhaltung und vor allem die Beine der blonden Dr.   Kristin Jonsdottir, Expertin für den Inhalt prähistorischen Meeresschlamms, sind mir nicht unbekannt.
    Ich trinke noch einen Schluck Kaffee und bemerke, dass meine Hände zittern. Ich lege sie flach auf die Tischplatte und warte, bis sie sich beruhigt haben.
Im Zweifelsfall praktisch handeln.
Ich wende mich wieder dem Laptop zu und konzentriere meine Recherchen aufs Persönliche. Ich beginne mit einer kurzen Biographie, aus der ich erfahre, dass die Frau, die ich schon jetzt leidenschaftlich hasse, in Island geboren wurde, ihr Studium an der Edinburgh University und in Reykjavík mit Auszeichnung |224| abgeschlossen und in den Vereinigten Staaten, Südamerika, Indonesien, Namibia und Russland gearbeitet hat.
    Das alles zeugt von hoher Intelligenz und brennendem Ehrgeiz.
    An dem Abend, an dem ich Dr.   Frazer Melville kennenlernte, tauchte er aus dem Speisesaal des Armada-Hotels in Hadport auf und wischte sich das Gesicht mit einer Serviette ab, weil ihm so heiß war. Er sah, dass ich mich bemühte, die Gästeliste an der Wand zu lesen, und half mir. Wir verließen den Empfang und gingen gemütlich essen. Es schien ein harmloser Zufall: Er war genau der Wissenschaftler, mit dem ich über Bethanys Fall sprechen konnte. Später machte ich ihn mit ihr bekannt. Was aber, wenn er schon vorher von ihr gewusst und nur deshalb meine Bekanntschaft gesucht hatte?
    Was, wenn ihn seine Geliebte Kristin Jonsdottir zu mir geschickt hatte?
    Ich überfliege die Liste ihrer Veröffentlichungen, darunter so packende Titel wie »Abiotische Faktoren der Planktonevolution im Känozoikum«, »Biogeographische Sedimentologie und chemostratigraphische Identifizierung von Sequenzen dritter Ordnung in resedimentierten Karbonaten«, »Populationsdynamik nach dem Artensterben an der Kreide-Tertiär-Grenze« und »Ver teilungsmuster bei planktischen Foraminiferen-Ansammlungen des Holozän«. Als Fachgebiete sind »Foraminiferen und ihr Einfluss auf den globalen Karbon-Zyklus, die Versauerung der Meere im Zusammenhang mit der Untersuchung kryptischer Spezies und biotische Prozesse nach Extremereignissen« aufgeführt. Ich verstehe nicht einmal die Hälfte des Vokabulars und weiß auch nicht, wonach ich suche. Nachdem ich einen von Kristin Jonsdottirs Beiträgen in
Micropaleontology Today
ausgedruckt und mich in vier eng beschriebene Seiten über die Tücken der Sedimentbestimmung vertieft habe, beschließe ich, den Stier bei den Hörnern zu packen.
    Es dauert nicht lange, bis ich sie mithilfe eines freundlichen Mannes in einem Forschungslabor in Reykjavík aufgespürt habe. |225| Er erzählt mir, seine Kollegin Kristin befinde sich beruflich in Großbritannien. Selbstverständlich könne er mir ihre Handynummer geben. Was er auch tut. Ich solle sie von ihm grüßen. Das verspreche ich.
    Es klingelt viermal, bevor sie sich meldet. Die Verbindung ist nicht gut. Sie sagt etwas auf Isländisch, das wie eine Frage klingt. Ich entschuldige mich höflich, weil ich Englisch spreche, und stelle mich als Gabrielle Fox, eine Freundin von Frazer Melville, vor. Doch sie nimmt mir die Zügel aus der Hand. Ihr Akzent klingt säuselnd, der Ton ist sanft und bedauernd.
    »Es tut mir leid, Gabrielle. Ich weiß genau, wer Sie sind. Frazer hat mir von Ihnen erzählt. Aber ich habe Ihnen nichts zu sagen.«
    »Ich muss wissen   …«
    »Verzeihen Sie mir. Auf Wiederhören, Gabrielle«, sagt sie knapp und hängt ein. Mir schießt das Blut ins Gesicht. Als ich das nächste Mal anrufe, hat sie das Telefon ausgeschaltet. Noch nie habe ich mich so gedemütigt gefühlt.
    Doch ich fühle auch andere Dinge. Denn ein kranker, hartnäckiger Teil von mir kehrt an einen Ort zurück, an den ich nie wieder wollte.
     
    Die nächsten beiden Tage sind von Frustration, Depression, Zorn, Selbstmitleid und Selbstekel geprägt. Abends nehme ich große Mengen Alkohol zu mir und fühle mich morgens noch schrecklicher. Einmal rufe ich Lily an. Sie berichtet von ihrem Liebeskummer, und ich gebe Ratschläge als Freundin und Therapeutin, erzähle aber nicht, was in mir vorgeht, weil ich noch nicht so weit bin. Ich bin noch nicht so weit, weil ich zu stolz bin, und ich bin zu stolz, weil ich ich bin. Ich kann dabei nur verlieren, und das weiß ich auch, genau wie Frida Kahlo, die ich mit

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