Engel auf Abwegen
trotzdem. »Gehen Sie weg.«
Ich blinzelte. Sogar nachdem ich zu seinem Haus gefahren war (auf der falschen Seite der Stadt, möchte ich hinzufügen), mich vorgestellt und ihm erklärt hatte, was ich für ihn tun konnte, war er an mir, mir, Frede Ware, immer noch nicht interessiert.
Was war bloß heutzutage mit den Menschen los?
10
Wie auch immer meine Erwartungen in Bezug auf Nikkis petite soirée aussahen, ich sollte eine Überraschung erleben.
Die Teeparty nahm einen etwas komplizierten Anfang, als ich bei den Grouts ankam und sah, dass Nikki genau so gekleidet war, wie ich es vorgeschlagen hatte.
Ich muss äußerst verwirrt ausgesehen haben.
»Du sagtest doch Schleifen und Perlen«, erinnerte sie mich.
Ich hätte etwas genauere Angaben machen und Worte wie »schlicht«, »geschmackvoll« oder einfach nur »klein« hinzufügen sollen. Nikki trug:
1. ein weißes Kleid, übersät mit großen roten Blumen (das mich an das geblümte Debakel meiner Mutter vor vielen Jahren erinnerte) und die größte rote Schleife, die ich je gesehen habe und die nicht um die Motorhaube eines am Weihnachtsmorgen in der Einfahrt geparkten neuen Autos drapiert war, sondern in einer Art und Weise auf ihrer linken Hüfte angebracht war, die an Linda Evans in Dynasty aus den 80er Jahren erinnerte;
2. mehrere Ketten mit hagelkorngroßen Perlen um ihren Hals, die sie zu ersticken drohten;
3. falsche Wimpern, und nicht in Form gebürstet, klumpendes Mascara;
4. grelle clownartige Flecken Rouge, was schon schlimm
genug war, aber auf der Farbe lag auch noch ein Schimmer (was höchstens für gesellschaftliche Anlässe am Abend gestattet war);
5. keine Strümpfe (ich kann gar nicht alles aufzählen, was daran falsch ist);
6. noch ein Paar von diesen Riemchensandalen (in Mitteltexas ist es zwar wärmer als sonst irgendwo Anfang März, aber Sandalen sollte man nur am Frühjahrsende und im Sommer tragen. Die einzige Ausnahme sind Abendsandalen aus Satin – bitte keine Badelatschen -, die die Zehen bedecken und zu formeller Abendkleidung passen);
7. um genauer zu sein, weiße Sandalen (wie ist es nur möglich, dass es in diesem Land noch jemanden gab, der nicht wusste, dass man Weiß nur zwischen Ostern und dem ersten Mai trug. Zu dieser Regel gibt es absolut keine Ausnahmen. Das hätte in Texas auch eine gesetzliche Vorschrift sein können. In der JLWC war es Vorschrift und wurde durch umgehende Ablehnung bestraft).
»Nun, ah, du siehst aus wie … wie du selbst«, stellte ich mit einer Begeisterung fest, die ich nicht verspürte.
Nikki strahlte und drehte sich hin und her. »Ich muss schon sagen, es war ziemlich schwer, ein Kleid mit Schleifen und Perlen zu finden, das einzigartig ist, aber ich habe es geschafft. Kannst du das glauben?«
Es ist schwierig, die indirekte Rede zu benutzen, wenn einem jemand direkte Fragen stellt, selbst wenn es eine einfache ist wie: »Kannst du das glauben?«, die man leicht als rhetorisch abtun kann. Ich hatte den Wunsch, ihr ins Gesicht zu sagen, was ich von ihrer Garderobe hielt. (Du
siehst aus wie ein Kuchen auf der Geburtstagsparty eines fünfzehnjährigen Mädchens aus South Willow Creek.) Aber jahrelanger Unterricht im richtigen Benehmen gewann die Oberhand, und ich unterdrückte dieses Verlangen (meine Mutter wäre stolz auf mich gewesen) und sagte stattdessen: »Nein, ich kann es kaum glauben.«
»Ich weiß!« Sie ließ ihre Finger über die Schleife gleiten. »Es ist viel passiert, seitdem meine Mutter mir getragene Klamotten und Ausschussware aus dem Secondhandladen zum Anziehen gegeben hat.«
Ich wollte gerade nachfragen, wie es ihrer Mutter ging, hielt jedoch inne, weil ich es eigentlich gar nicht wissen wollte. Ich hatte Marlene Bishop erst einige Male gesehen. Als ich zehn Jahre alt war, bin ich mal zum Haus der Bishops gegangen. Unser Fahrer fuhr mich durch schmutzige Straßen, bis wir zu dem heruntergekommenen Wohnwagenpark im falschen Stadtteil von Willow Creek kamen. Als ich die Gegend sah, in der Nikki wohnte, war ich geschockt. Unser Vieh lebte in besseren Verhältnissen als Nikki.
Ich saß in dem großen schwarzen Cadillac, mit dem Rado meine Mutter immer in die Stadt fuhr anstelle des Lieferwagens, mit dem er mich üblicherweise zur Schule brachte. Damals hatte ich schon so eine Vorahnung und sagte Rado, er solle mich ein paar Häuserblocks vorher absetzen und im 7-Eleven-Laden auf mich warten anstatt vor dem Haus von Nikki, wie meine Mutter ihn angewiesen hatte. Als er
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