Engel auf Abwegen
Treppenabsatz.
»Warum übst du nicht zu Hause«, schlug ich vor. Morgen fahren wir dann zu Saks Fifth Avenue nach San Antonio, um ein paar neue Kleider für dich zu kaufen. Wir besorgen dir das perfekte Outfit, das du dann zu deiner großen Dinnerparty anziehst.«
Sie starrte mich an. »Aber ich habe für den Anlass doch schon etwas anzuziehen. Es ist traumhaft schön, voller Gold und Glitzer …«
Zu ihrer eigenen Verteidigung unterbrach sie sich, verzog das Gesicht und nickte. »Okay, wir gehen shoppen. Aber zunächst habe ich eine Überraschung für dich.«
Sie holte ihre limettengrüne Ledertasche und nahm ein Buch daraus hervor. » Voilà !«
»Was ist das?«
»Das Jahrbuch der Willow Creek Junior High!« Sie kam zu mir und öffnete es. »Schau mal! Hier hast du unterschrieben!« Sie reichte mir das Buch.
Selbst nach all den Jahren erkannte ich meine Handschrift. Gerade, rauf und runter, in runden, krummen Buchstaben. Meine Unterschrift hatte sich seit damals kaum verändert, sie war jetzt nur weniger auffällig.
Als ich schwieg, fing sie laut an zu lesen. Offensichtlich hatte sie die Worte auswendig gelernt.
»Nikki, das brauchst du nicht zu tun.«
Unbeirrt fuhr sie fort.
»›Für meine beste Freundin Nikki. Frede‹«
Selbst damals neigte ich nicht gerade zu enthusiastischen Übertreibungen.
Sie lächelte gedankenverloren. »Erinnerst du dich noch an die siebte Klasse, als wir …«
»Schau mal, wie spät es schon ist.« Ich klappte das Buch zu und gab es ihr zurück. »Morgen machen wir mit Shoppen weiter.«
Das musste ich ihr nicht zweimal sagen. Sie war vielleicht enttäuscht darüber, dass sie ihre Geschichte nicht zu Ende erzählen konnte, aber sie freute sich, die »Schule« endlich verlassen zu können. Das hatte meine Lektion also bewirkt. Sie rief Nina ein Auf Wiedersehen zu und knallte winkend und lachend die Tür hinter sich zu, als hätte ich nicht den ganzen Nachmittag damit zugebracht, ihr beizubringen, genau das Gegenteil zu tun.
Als ich ihr Auto die Einfahrt hinunterdonnern hörte, dachte ich an den Leitartikel in der Willow Creek Times .
Total ausgelaugt ging ich nach oben, um ein langes, heißes Bad zu nehmen, aber ehe ich mich ins Schlafzimmer verzog, ging ich noch in mein Büro. Mein Körper schien unabhängig von meinem Geist zu funktionieren. Ich steuerte auf ein Regal zu und nahm mein Jahrbuch der Willow Creek Junior High daraus hervor. Da war ich, der Liebling und die Schönste der Klasse.
Ich blätterte die Seiten durch, bis ich auf ein Foto von Pilar stieß, die damals noch Schülerin gewesen war. Dann fand ich eines von Nikki, auf dem sie so breit lächelte, dass ihre Zähne zu sehen waren und ihre Locken und ihr Gelächter. Schließlich sah ich Nikkis unordentliches Gekritzel – Pilar unterschrieb nie -: Du wirst immer die Schwester meines Herzens sein.
Damals war sie schon ziemlich melodramatisch gewesen.
Es war eine Reise in die Vergangenheit, an der ich nicht interessiert war. Ich stellte das Jahrbuch an Ort und Stelle zurück. Dann ging ich in mein Zimmer und schwor mir, dass Nikki Grout und ihre inakzeptable Art und Weise nicht auf mich abfärben würden.
14
Fabelhaft zu sein bedeutet eine Menge Arbeit. Frede-Warefabelhaft zu sein, das ist eine Kunstform. Daher hatte ich am nächsten Morgen einige Gewissensbisse, weil ich die Regeln mit Nikki so schnell durchgegangen war. Aber ehrlich gesagt, eine Frau kann nur ein gewisses Maß vertragen.
Als ich zum Grout-Palast kam, um Nikki zu unserer Shopping-Tour abzuholen, war ich entschlossen, die Ruhe selbst zu sein. Meine einzige Aufgabe an diesem Tag bestand darin, mein kleines Entlein zu überreden, von moderner Kleidung mit grellen Farben und Mustern Abstand zu nehmen.
Das konnte doch nicht so schwierig sein.
Das Hausmädchen führte mich durch den Irrgarten von Geschmack und Geschmacklosigkeit in den Sonnenraum. Abrupt blieb ich stehen. Das Hausmädchen jedoch schien nicht besonders aufgebracht von dem, was wir da sahen: Nikki und Howard waren gerade dabei, etwas überaus NC-haftes zu tun.
Ich versuchte, mich von der Tür zu entfernen, war jedoch so überrascht, dass ich wahrscheinlich ein Geräusch gemacht habe, weil die Grouts sich plötzlich umdrehten und mich anstarrten.
»Frede!«, rief Nikki.
Howard kicherte, und als er sich umdrehte, fiel das Buch, das er auf dem Kopf trug, auf den Boden. »Mist, das ist schwieriger, als es aussieht.«
»Habe ich dir doch gesagt«, sagte Nikki und sah mich
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