Engel auf Abwegen

über drei Metern Entfernung noch sehen kann.
    4. Gib nie mit deinen Fähigkeiten an.
    »Tatsache ist«, fuhr ich fort, »wenn du etwas tust, was es wert ist, wahrgenommen zu werden, so wird es auch wahrgenommen. Das Sprichwort sagt: ›Tute nicht ins eigene Horn.‹«
    »Das ist nicht das, was Howard sagt.«
    »Wirklich?« Ich tat so, als wäre ich überrascht.
    »Howard sagt, wenn man etwas im Leben erreichen will, muss man es an den Hoden packen. Man muss sein Ziel verfolgen, weil niemand es für dich tun wird. Und alle müssen wissen, wie großartig du bist.« Sie lächelte warmherzig. »Er sagt immer, je mehr man tutet, desto mehr Leute springen aus dem Weg und lassen dich an den Anfang der Schlange vor.«
    Howard war in die Art von Hillbilly-Dasein hineingeboren, wo Schafe manchmal für Verabredungen herhalten.
    »Und ich bin sicher, dass Howard weiß, wovon er spricht – in seiner Welt. Aber wenn du die restlichen drei Sponsoren haben willst, tust du besser genau das, was ich will.«

    Sie überlegte kurz und stieß dann einen Seufzer aus. »Okay. Howard sagte, ich muss tun, was du willst.«
    Ich konnte gerade noch ein Jesus Lordy, thank God for Howie unterdrücken .
    »Noch ein Tipp: Zeige niemals deine Gefühle.«
    »Was meinst du damit?«
    »Zum Beispiel solltest du nie vor anderen Leuten weinen.«
    Sie gab ein verächtliches Schnauben von sich. (Vielleicht sollte ich eine Liste mit Dingen, die korrigiert werden mussten, aufstellen.) Ich stieß einen Seufzer aus, und als ich gerade davon anfangen wollte, wurde mir die Mühe erspart.
    »Kein Schnauben«, sagte sie. Ich war angenehm überrascht.
    »Genau.«
    »Okay, was sonst noch?«
    Ich sagte ihr die drei Dinge, die man nicht tun sollte:
    1. Schau in der Öffentlichkeit niemals in den Spiegel.
    2. Berühr in der Öffentlichkeit niemals irgendeinen Teil deines Körpers (und sonst auch nicht, wie meine Mutter immer sagte).
    3. Iss nichts, es sei denn, du sitzt an einem Tisch.
    »Ist Kaugummi auch Essen?«, fragte sie.
    »Das spielt keine Rolle. Eine Dame kaut niemals Kaugummi.«
    »Niemals?« Sie starrte mich an.
    »Niemals.«
    »Jesus…« Sie schenkte mir ein entschuldigendes Lächeln. »Okay, lass mich sehen, ob ich das richtig verstanden
habe. Es gibt vier Dinge, die absolut tabu sind, und drei, die man nicht tun sollte. Es erinnert mich an Motown und die Etikette.«
    Dieses Mal war es an mir zu blinzeln.
    Sie sprang auf und sang »I Heard It Through the Grapevine«, machte einige Tanzschritte und schnippte mit den Fingern. Ich stellte sie mir auf dem Wohltätigkeitsball von Boots und Belles vor und hätte beinahe meinen Kopf auf das Leinentischtuch gelegt und laut losgeheult.
    »Entschuldigung«, sagte sie lachend. »Jetzt bin ich brav. Aber bevor wir auf das Thema zurückkommen, muss ich mal eben für kleine Mädchen. Der süße Tee fließt direkt durch mich durch.«
    Ich stöhnte auf.
    »Was habe ich jetzt Falsches gesagt?«
    Es wäre wahrscheinlich einfacher, eine Liste aufzustellen. »Wenn du vom Tisch aufstehst, egal, aus was für einem Grund, sag einfach ›Entschuldigung‹ und nicht, wohin du gehst.«
    Sie lachte noch mehr. »Ja, die müssen ja nicht unbedingt wissen, dass ich pinkeln muss.«
    Sie verschwand, und am liebsten wäre ich ebenfalls verschwunden.
    Ich sage das nicht gerne, aber als sie zurückkam, ging ich mit ihr in Windeseile die restlichen Punkte durch: Beherrschung, Körperhaltung, und als ich bei
    1. Betreten eines Zimmers (mit ruhiger Gelassenheit und Würde)
    2. Gehen (wie wenn man ein Buch auf dem Kopf trägt, mit gerader Wirbelsäule, eingezogenem Bauch und Hintern, Schultern gestrafft, den Kopf hoch erhoben)
ankam, hatte ich das Gefühl, als ticke in meinem Kopf die antike Uhr meines Großvaters.
    Tatsache war, dass Nikki Grout nie etwas mit ruhiger Würde tun konnte, und es war beinahe unmöglich für sie, wie eine Lady zu gehen, vielleicht eher wie ein Callgirl. Aber ganz sicher nicht wie ein Mitglied der Junior League von Willow Creek.
    Rasch besprachen wir folgende Themen:
    1. Ein- und Aussteigen aus dem Auto (sich mit zusammengepressten Knien hinsetzen, dann die Beine nachziehen – mit zusammengepressten Knien die Beine aus dem Auto strecken, dann aufstehen)
    2. Gestikulieren (kein wildes Herumwinken)
    3. die Treppe hinabsteigen (die Hand ruht leicht auf dem Geländer, der Kopf ist erhoben)
    Bei der letzten Übung wäre Nikki um ein Haar gestolpert. Gott sei Dank war auf halbem Weg die gewundene Treppe hinunter ein