Engel auf Abwegen
irgendwie befürchtete ich, dass Gordon mir diese Arglosigkeit ein für alle Mal genommen hatte.
Ich ging die Treppe hinunter, wobei meine Hand kaum das Geländer berührte, und erwartete, Sawyer Jackson im Foyer vorzufinden. Aber dort war niemand. Ich ging in den
Empfangsraum, dann ins Wohnzimmer und sogar in den Hobbyraum, aber meine Suche blieb erfolglos.
Dann hörte ich Stimmen und sah den Künstler mit Nina am Küchentisch sitzen. Sie redeten auf Spanisch miteinander, als wären sie Freunde, die sich schon lange nicht mehr gesehen hatten.
Dies war ungeheuerlich, denn es gibt eine Regel im Zusammenhang mit der Gästebewirtung in der Küche. Aber was diesen Fauxpas noch schlimmer machte: Es war mein Hausmädchen, das die Gäste in der Küche bewirtete. Und dies war nicht die größte Überraschung. (Wie Sie wissen), Nina hasst jeden mit Ausnahme von mir (obwohl sie Nikki gegenüber wohlwollend gesinnt war). Nina saß, eng an den Mann gelehnt, am Küchentisch und erzählte ihm von ihrer Lieblings-Reality-Show, die auf dem einzigen mexikanischen Fernsehkanal lief, den sie in Willow Creek empfangen konnte. Die Show hieß Bailar Mejicano, und ein Mal pro Woche tanzte ein Don Juan de Tango zwischen einer Reihe Frauen hindurch, um seine perfekte Tanzpartnerin zu finden. Mehr als einmal war ich in den Familiensalon gegangen und hatte gesehen, wie mein Dienstmädchen gleichzeitig mit der Show einen Tango aufs Parkett legte.
»Ich unterbreche die Party nur ungern, aber wir müssen uns sofort an die Arbeit machen.«
Mein Tonfall war äußerst arrogant und hätte die beiden eigentlich einschüchtern sollen. Der Künstler drehte sich zu mir um und lachte (ja, er lachte). Nina sah mich missmutig an. »Sie seien nett«, sagte sie, »er hat Geschenk mitgebracht.«
Das erregte meine Aufmerksamkeit.
»Ein Geschenk? Für mich?«
Der Künstler lachte erneut und zog etwas unter einem
Stuhl hervor, der neben seinem stand. Er stand auf und reichte mir eine glänzende graue Einkaufstasche von Saks Fifth Avenue.
Aufgeregt nahm ich ein kleines Kästchen daraus hervor und hatte das Paket in kürzester Zeit geöffnet. Was ich sah, hätte mich eigentlich nicht weiter überraschen sollen.
»Das Armband.«
»Ich wusste, dass Sie es mochten.«
Törichterweise tat ich das.
»Außerdem hatte ich das Gefühl«, fuhr er fort, »dass ich mich nach unserem Einkaufstrip noch bei Ihnen entschuldigen sollte.«
Es war wirklich jammerschade um ihn. Ein Geschenk und eine Entschuldigung dafür, dass er unhöflich zu mir gewesen war. Und dann sah ich sein Outfit. Er trug eine weiße Jeansjacke, ein schwarzes glänzendes Hemd und weiße Jeans. Dieses mag in South Beach oder Europa völlig in Ordnung sein, aber in meiner Welt war es nicht in Ordnung. Vergessen Sie die Sache mit »kein Weiß vor Ostern«, für ein weißes Jeans-Ensemble gilt das Gleiche wie bei Sandalen – es sollte niemals von Männern getragen werden.
Ich seufzte. »Es ist sehr nett von Ihnen, dass Sie mir das schenken wollen, aber ich kann es nicht annehmen.«
»Warum denn nicht?«, fragte er.
Nina sah mich enttäuscht an. Zur selben Zeit wie ich hatte sie von meiner Mutter höfliche Umgangsformen gelernt, und sie wusste genauso gut wie jeder andere, dass es sich nicht schickte, ein Geschenk von einem fremden Mann, der nicht mein Ehemann war, anzunehmen.
»Weil ich ein Mann bin?«, fragte er.
Nina wollte nicht länger zusehen und ging aus der Küche – als ob ich diese Regeln aufgestellt hätte!
Ich überlegte noch einmal. Tatsache war, dass dieses homosexuelle Terrain mir völlig fremd war. Wäre es denn wirklich falsch, ein Geschenk von einem schwulen Mann anzunehmen? Außerdem war es schon ewig her, dass Gordon mich mit irgendetwas anderem als einer Geliebten überrascht hatte, und ich wollte unbedingt ein Geschenk haben.
»Es ist wirklich hübsch, und ich danke Ihnen«, sagte ich und nahm es entgegen. »Nennen Sie mich eine Wichtigtuerin, aber ich würde gerne wissen, wofür Sie sich dieses Mal entschuldigen wollen. Nachdem Sie mir die Tür vor der Nase zugeschlagen haben, hielten Sie es ja auch nicht für notwendig, sich zu entschuldigen.«
Er zuckte die Schultern und sah amüsiert aus. »Sicherlich war ich unhöflich zu Ihnen. Aber was soll ich dazu sagen. Ich bin ziemlich launisch.« Er griff nach dem Armband. »Ich möchte es Ihnen anlegen«, sagte er. »Und versuchen Sie zur Abwechslung mal, meinen Namen zu sagen.«
»Von was reden Sie da?«
»Sie haben
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