Engel aus Eis
Freunde herauszufinden. Es schien immer noch am wahrscheinlichsten, dass sie hinter dem Mord an Erik Frankel steckten, aber leider gab es keine konkreten Anhaltspunkte. Drohbriefe hatte sie nicht gefunden. Nur die Andeutungen in den Briefen von Frans Ringholm, der schrieb, dass Schwedens Freunde Eriks Aktivitäten nicht gern sähen und dass er ihn nicht mehr vor diesen Kräften schützen könne. Es gab auch keine Indizien, die einen von ihnen mit dem Tatort in Verbindung brachten. Alle Vorstandsmitglieder hatten freiwillig – und hämisch – ihre Fingerabdrücke abgegeben, die Kollegen aus Uddevalla waren dabei freundlicherweise behilflich gewesen, aber das kriminaltechnische Labor SKL hatte festgestellt, dass keiner der Fingerabdrücke mit denen in der Bibliothek von Erik und Axel übereinstimmte. Die Überprüfung ihrer Alibis hatte genauso wenig gebracht. Es hatte zwar keiner ein lückenloses Alibi, aber die meisten konnten zumindest eins vorweisen, das ausreichte, solange es keine weiteren konkreten Beweise gab. Mehrere von ihnen hatten bezeugt, dass Frans sie an den fraglichen Tagen auf einer Reise zu einer dänischen Schwesterorganisationbegleitet hatte. Leider hatten Schwedens Freunde so viele Mitglieder – viel mehr, als Paula gedacht hätte –, dass sie nicht alle Fingerabdrücke und Alibis überprüfen konnten, sondern sich auf den Vorstand beschränken mussten. Doch bis jetzt war das Ergebnis gleich null.
Missmutig klickte sie weiter. Woher kamen all diese Menschen? Woher dieser ganze Hass? Sie verstand Hass, der sich gegen bestimmte Personen richtete, gegen Menschen, die einem Unrecht getan hatten. Aber einfach alle Menschen zu hassen, die aus einem anderen Land kamen oder eine andere Hautfarbe hatten als man selbst? Nein, das konnte sie nicht nachvollziehen.
Sie selbst hasste die Henker ihres Vaters so sehr, dass sie sie mit Sicherheit hätte umbringen können, wenn sie die Gelegenheit dazu gehabt hätte. Und wenn sie noch lebten. Weiter ging ihr Hass nicht, obwohl er sich hätte ausbreiten können. Das hatte sie jedoch zu verhindern gewusst und hasste nur die Männer, die ihre Gewehre auf ihren Vater gerichtet und abgedrückt hatten. Hätte sie ihren Hass nicht eingegrenzt, hätte sie am Ende ihr ganzes Land gehasst, und wie sollte sie das tun? Wie hätte sie mit dem Hass auf das Land leben sollen, in dem sie geboren war, wo sie laufen gelernt, mit Freunden gespielt, auf dem Schoß ihrer Großmutter gesessen, die Lieder gehört, die abends gesungen wurden, und auf fröhlichen Festen getanzt hatte. Wie hätte sie all das hassen können?
Aber diese Leute hier … Sie las einen Absatz nach dem anderen über Menschen, die man ausrotten oder wenigstens zurück in ihre Heimatländer schicken sollte. Es gab auch Bilder. Natürlich einige aus Nazideutschland. Diese Schwarzweißfotos hatte sie schon so oft gesehen, die Haufen aus nackten, ausgemergelten Leibern, die man einfach weggeworfen hatte, nachdem sie in den Konzentrationslagern gestorben waren. Auschwitz, Buchenwald, Dachau … diese Namen waren so erschreckend bekannt und für immer mit dem Bösen verbunden. Doch hier wurden sie gefeiert und gepriesen. Oder geleugnet. Diesen Flügel gab es schließlich auch. Peter Lindgren gehörte dazu. Er behauptete, das alles wäre nie passiert, es wären während des Zweiten Weltkriegs nicht sechs Millionen Juden getötet, vertrieben, gequält, gefoltertund in den Konzentrationslagern vergast worden. Wie konnte man so etwas abstreiten, wo es doch noch so viele Spuren und so viele Zeugen gab? Was ging bloß in den Köpfen dieser Leute vor sich?
Sie zuckte zusammen, als an die Tür geklopft wurde.
»Na, was machst du da?« Martin steckte den Kopf herein.
»Ich suche ein paar Hintergrundinformationen über Schwedens Freunde heraus«, seufzte sie. »Aber es wird einem angst und bange, wenn man sich mit dem Mist beschäftigt. Wusstest du, dass es in Schweden ungefähr zwanzig rechtsradikale Organisationen gibt und dass die Schwedendemokraten in 144 Kommunen insgesamt 281 Mandate haben? In welche Richtung entwickelt sich eigentlich dieses Land?«
»Das frage ich mich allmählich auch«, erwiderte Martin.
»Es ist wirklich zum Kotzen.« Wütend schleuderte Paula ihren Kugelschreiber weg, der über den Schreibtisch kullerte und auf den Boden fiel.
»Hört sich an, als bräuchtest du eine kleine Pause«, lächelte Martin. »Wir sollten uns noch einmal mit Axel unterhalten.«
»Über etwas Bestimmtes?«, fragte
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