Engel aus Eis
Städtchen zeigen. Aber jetzt ruh dich aus.«
Sie machte die Tür zu, doch seltsamerweise blieb sein Bild auf ihrer Netzhaut hängen und wollte nicht verschwinden.
E ricabefand sich nicht, wie Patrik glaubte, in der Bibliothek. Sie hatte sich zwar auf den Weg dorthin gemacht, aber als sie den Wagen abgestellt hatte, kam ihr ein Gedanke. Es gab doch noch jemanden, der ihre Mutter gut gekannt hatte und nicht vor sechzig Jahren mit ihr befreundet war, sondern später. Eigentlich war sie die einzige Freundin, die ihre Mutter in ihrer und Annas Kindheit gehabt hatte. Dass sie nicht früher daran gedacht hatte! Kristina war eben inzwischen so sehr ihre Schwiegermutter, dass sie die Freundschaft mit ihrer Mutter beinahe verdrängt hatte.
Entschlossen ließ sie den Motor wieder an und fuhr nach Tanum. Da es ihr erster Spontanbesuch bei Kristina war, schielte sie zu ihrem Handy und überlegte kurz, ob sie nicht vorher anrufen sollte. Ach was, einen Teufel würde sie tun. Kristina stapfte schließlich auch bei ihr und Patrik herein, wenn es ihr passte, da durfte sie sich das bei ihr wohl auch erlauben.
Als sie ankam, verspürte sie immer noch eine leichte Irritation. Aus reiner Gemeinheit drückte sie nur kurz auf die Klingel und trat sofort ein.
»Hallo?«, rief Erica.
»Wer ist da?« Kristinas Stimme kam aus der Küche. Sie klang etwas ängstlich. Einen Augenblick später stand sie im Hausflur.
»Erica?« Verdutzt starrte die Schwiegermutter sie an. »Bist du das? Hast du Maja mitgebracht?« Sie sah sich suchend um, konnte ihr Enkelkind aber nirgends entdecken.
»Sie ist zu Hause bei Patrik.« Erica zog sich die Schuhe aus und stellte sie ordentlich ins Regal.
»Komm rein.« Kristina wirkte noch immer verwundert. »Ich mache uns eine Tasse Kaffee.«
Erica folgte ihr in die Küche. Sie erkannte ihre Schwiegermutter kaum wieder. Bis jetzt hatte sie Kristina nur tadellos gekleidet und kräftig geschminkt erlebt. Wenn sie bei ihnen zu Besuch war, war sie immer das reinste Energiebündel, redete ununterbrochen und hielt keinen Augenblick still. Nun sah sie eine vollkommen andere Frau vor sich. Kristina lief in einem ausgeleierten und ungewaschenen Nachthemd herum, obwohl es bereits Vormittag war, und in ihrem Gesicht zeigte sich keine Spur von Make-up. Da die Linien und Falten nun deutlich zu erkennen waren, wirkte sie viel älter. Ihre Frisur war vom Kopfkissen noch ganz platt gedrückt.
»Wie ich aussehe«, rief Kristina, als hätte sie Ericas Gedanken gelesen, und strich sich verschämt durch die Haare. »Wenn man nichts zu tun hat und nirgendwohin muss, erscheint es einem irgendwie sinnlos, sich zurechtzumachen.«
»Du wirkst doch immer so beschäftigt.« Erica setzte sich.
Zuerst sagte Kristina gar nichts, sondern stellte nur zwei Kaffeetassen auf den Tisch und legte eine Rolle Ballerinakekse daneben.
»Es ist nicht leicht, in den Ruhestand zu gehen, wenn man sein ganzes Leben gearbeitet hat«, seufzte sie schließlich und schenkte Kaffee ein. »Keiner hat Zeit. Es gibt zwar Dinge, die ich tun könnte, aber irgendwie bin ich noch nicht richtig dazu gekommen …« Sie nahm sich einen Keks und vermied es, Erica anzusehen.
»Warum hast du uns dann erzählt, dass du so viel um die Ohren hast?«
»Ach, ihr jungen Leute habt doch euer eigenes Leben. Ihr sollt nicht das Gefühl haben, dass ihr euch um mich kümmern müsst. Ich will euch nicht zur Last fallen. Mir ist nicht entgangen, dass meine Besuche manchmal ungelegen kommen, und da dachte ich, es wäre am besten …« Sie verstummte. Erica sah sie verblüfft an. Kristina blickte auf und fuhr fort: »Du sollst wissen, dass ichfür die Augenblicke lebe, die ich mit euch und Maja verbringen darf. Lotta hat ihr Leben in Göteborg. Es ist nicht immer leicht für sie, hierherzukommen, und ich kann sie auch nicht dauernd besuchen. Sie wohnen so beengt. Und bei euch fühle ich mich, wie gesagt, oft nicht willkommen …« Sie blickte zur Seite. Erica schämte sich.
»Ich gebe zu, dass ich daran großen Anteil habe«, sagte sie sanft, »aber du kannst immer gerne zu uns kommen. Maja und du habt doch so viel Spaß zusammen. Ich verlange nur, dass unser Privatleben respektiert wird. Es ist unser Zuhause, und du kannst gerne unser Gast sein. Aber wir, vor allem ich, möchten, dass du vorher anrufst und fragst, ob es uns passt, und dass du nicht einfach ins Haus kommst. Und sag uns bitte nicht, wie wir unseren Haushalt zu führen und unser Kind zu erziehen haben. Wenn du
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