Engel aus Eis
weil er dachte, das würde vielleicht helfen.«
»Waren Sie deshalb dort?« Paula betrachtete ihn genau. »Weil Britta jemanden von früher sehen wollte?«
»Zumindest hat Herman das gesagt. Wir standen uns zwar nicht besonders nahe, weil sie eigentlich mit meinem Bruder Erik befreundet war, aber ich dachte, es könnte trotzdem nicht schaden. In meinem Alter redet man gern über seine Erinnerungen.«
»Was passierte, als Sie dort waren?« Martin beugte sich leicht nach vorn.
»Eine Weile wirkte sie außerordentlich klar, und wir plauderten ein bisschen über die gute alte Zeit. Doch dann tauchte sie in ihre Verwirrung ab, und da machte mein Besuch nicht mehr viel Sinn. Also verabschiedete ich mich und ging. Unheimlich tragisch. Es ist eine grausame Krankheit.«
»Was ist mit den Anrufen im Juni?« Martin warf einen Blick auf seine Notizen. »Am zweiten wurde von Ihrem Telefon angerufen, am dritten haben Britta oder Herman hier bei Ihnen angerufen und am vierten ging schließlich wieder ein Telefonat von hier aus.«
Axel schüttelte den Kopf. »Das ist mir nicht bekannt. Die beiden müssen mit Erik gesprochen haben, aber es ging mit Sicherheit um das Gleiche. Wenn Britta allmählich in alten Zeiten versank, war es im Grunde ja auch naheliegender für sie, Erik zu treffen. Wie ich schon gesagt habe, waren schließlich die beiden miteinander befreundet.«
»Allerdings ging der erste Anruf von Ihrem Telefon aus«, hakte Martin nach. »Wissen Sie, warum Erik die beiden angerufen hat?«
»Wie ich Ihnen ebenfalls bereits erklärt habe, lebten mein Bruder und ich zwar unter einem Dach, mischten uns aber nicht in die Angelegenheiten des anderen. Ich habe keine Ahnung, warum Erik Britta angerufen hat. Vielleicht wollte er die Bekanntschaft wieder aufleben lassen. Mit diesen Dingen wird man im Alter etwas schrullig. Was lange zurückliegt, rückt wieder näher und bekommt plötzlich mehr Gewicht.«
Kaum hatte Axel diesen Gedanken ausgesprochen, wurde ihm bewusst, wie wahr er war. Vor seinem geistigen Auge sah er höhnisch lachende Menschen aus der Vergangenheit auf ihn zurasen. Er klammerte sich an die Armlehne. Dies war nicht der Moment, in dem er sich erlauben konnte, eingeholt zu werden.
»Sie glauben also, er war derjenige, der aus alter Freundschaft den Kontakt aufgenommen hat?«, fragte Martin skeptisch.
»Wie gesagt.« Axel ließ die Armlehne los. »Ich habe nicht die geringste Ahnung, aber vermutlich wäre das eine einleuchtende Erklärung.«
Martin warf Paula einen Blick zu. Im Moment kamen sie hier nicht weiter. Trotzdem hatte er das irritierende Gefühl, nur winzige Bröckchen von etwas viel Größerem hingeworfen zu bekommen.
Nachdem sie gegangen waren, stellte Axel sich wieder ans Fenster. Vor ihm tanzten dieselben Gesichter wie vorhin.
»Hallo. Wie war es in der Bibliothek?« Patrik strahlte, als er Erica ins Haus kommen sah.
»Äh … ich war gar nicht in der Bibliothek«, antwortete Erica schelmisch.
»Wo warst du denn?«, fragte Patrik erstaunt. Maja hielt ihren Mittagsschlaf, und er räumte gerade die Küche auf.
»Bei Kristina.« Erica kam zu ihm in die Küche.
»Welche Kristina? Meinst du etwa meine Mutter?« Patrik war verblüfft. »Warum das? Hast du Fieber?« Patrik legte ihr die Hand auf die Stirn. Erica stieß ihn weg.
»So erstaunlich ist es nun auch wieder nicht. Sie ist trotz allem … meine Schwiegermutter. Natürlich kann ich sie besuchen. Ganz spontan.«
»Klar, wieso nicht.« Patrik lachte. »Raus mit der Sprache. Was wolltest du von ihr?«
Erica berichtete, wie ihr vor der Bibliothek eingefallen war, dass es noch jemanden gab, der Elsy in seiner Jugend gekannt hatte. Sie erwähnte auch Kristinas merkwürdige Reaktion und die Enthüllung, dass Elsy den Norweger, der vor den Deutschen geflohen war, geliebt hatte. »Mehr wollte sie jedoch nicht sagen«, seufzte Erica frustriert. »Vielleicht weiß sie auch nicht mehr. Keine Ahnung. Es schien jedenfalls, als hätte dieser Hans Olavsen Mama irgendwie im Stich gelassen. Er verließ Fjällbacka und kehrte laut Elsy angeblich nach Norwegen zurück.«
»Wie willst du jetzt vorgehen?«, fragte Patrik und stellte die Reste des Mittagessens in den Kühlschrank.
»Ich werde natürlich versuchen, ihn zu finden.« Erica ging ins Wohnzimmer. »Übrigens sollten wir Kristina für Sonntag einladen. Damit sie ein bisschen Zeit mit Maja verbringt.«
»Nun bin ich ganz sicher, dass du hohes Fieber hast«, lachte Patrik. »Aber ich rufe meine
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