Engel aus Eis
wissen. »Hat denn niemand je erwähnt, wo er hinging? Auch Erik hat nichts gewusst?«
Axel schüttelte bedauernd den Kopf. »Es tut mir furchtbar leid. Ich wünschte wirklich, ich könnte Ihnen helfen, aber als ich zurückkehrte, war ich nicht ganz bei mir, und danach musste ich mich um andere Dinge kümmern. Ist es nicht möglich, ihn über die Behörden zu finden?«, fragte er hoffnungsvoll und erhob sich.
Erica verstand den Wink und stand ebenfalls auf.
»Das ist dann wohl der nächste Schritt. Wenn ich Glück habe,lässt sich das Rätsel auf diese Weise lösen. Wer weiß, vielleicht ist er gar nicht weit weggezogen.«
»Ich wünsche Ihnen wirklich viel Glück.« Axel gab ihr die Hand. »Ich weiß, wie wichtig die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit ist, damit wir im Jetzt leben können. Glauben Sie mir.« Er tätschelte ihre Hand, und Erica lächelte dankbar über seinen Versuch, sie zu trösten.
»Ach, haben Sie eigentlich noch etwas über den Orden herausgefunden?«, fragte er, als er soeben im Begriff war, die Haustür zu öffnen.
»Leider nicht«, antwortete sie und merkte plötzlich, dass sie von Minute zu Minute niedergeschlagener wurde. »Ich habe mit einem Experten in Göteborg gesprochen, aber der Orden ist leider zu gewöhnlich, als dass man seine Herkunft klären könnte.«
»Ich bedaure wirklich, dass ich Ihnen nicht weiterhelfen konnte.«
»Halb so schlimm, es war ja auch ein Schuss ins Blaue.« Sie winkte ihm zum Abschied.
Sie sah noch, wie Axel im Türrahmen stand und ihr hinterherblickte. Sie hatte riesiges Mitleid mit ihm. Aber er hatte irgendetwas gesagt, das sie auf einen Gedanken gebracht hatte. Zielstrebig spazierte Erica ins Zentrum von Fjällbacka.
Kjell zögerte, bevor er anklopfte. Hier vor der Tür seines Vaters fühlte er sich plötzlich wie ein kleiner verängstigter Junge. Im Geiste stand er wieder vor den vielen imposanten Gefängnistoren. Fest umklammerte er die Hand seiner Mutter, und in seinem Bauch mischten sich Aufregung und Angst vor der Begegnung mit dem Vater. Am Anfang hatte er noch Erwartungen gehabt. Er hatte sich nach Frans gesehnt, ihn vermisst und nur an die guten Stunden und die kurzen Phasen gedacht, die Frans außerhalb von Gefängnismauern verbrachte. Dann wirbelte er ihn durch die Luft, machte Waldspaziergänge mit ihm, Hand in Hand, und erklärte ihm Pilze, Bäume und Pflanzen. Kjell glaubte, sein Vater wüsste alles auf der Welt. Doch am Abend musste er sich in seinem Zimmer das Kissen auf die Ohren pressen, um diesen hasserfüllten und unheimlichen Streit nicht zu hören, der keinenAnfang und somit auch kein Ende zu haben schien. Seine Mutter und sein Vater machten einfach an der Stelle weiter, an der sie vor seinem letzten Gefängnisaufenthalt aufgehört hatten, und verloren sich immer wieder auf denselben Pfaden, im selben Krach und in Schlägen, bis die Polizei ein nächstes Mal an die Tür klopfte und seinen Vater mitnahm.
Deshalb nahmen seine Erwartungen mit jedem Jahr ab, bis zum Schluss nur noch Angst übrig war, wenn er im Besuchszimmer stand und die erwartungsvolle Miene seines Vaters sah. Später verwandelte sich die Angst in Hass. In gewisser Weise wäre es leichter gewesen, wenn er sich nicht an diese Waldspaziergänge erinnern würde. Denn sein Hass war aus einer einzigen Frage entstanden, die er sich als Kind ständig stellte: Wie konnte sein Vater sich immer wieder gegen all das entscheiden? Gegen ihn? Und stattdessen eine graue und kalte Welt wählen, in der ihm der Glanz in den Augen immer mehr verloren ging.
Verärgert darüber, dass er sich von seinen Erinnerungen hatte mitreißen lassen, pochte Kjell kräftig an die Tür.
»Mach auf, ich weiß, dass du zu Hause bist!«, rief er und lauschte gespannt. Dann hörte er, wie die Kette ausgehakt und das Schloss geöffnet wurde.
»Du verbarrikadierst dich vor deinen Kumpanen, nehme ich an«, sagte Kjell barsch und drängte sich an Frans vorbei in den Flur.
»Was willst du?«
Kjell fiel plötzlich auf, wie alt sein Vater aussah. Zerbrechlich. Dann schüttelte er den Gedanken ab. Der Alte war unheimlich zäh. Wahrscheinlich würde er sie alle überleben.
»Ich brauche ein paar Informationen von dir.« Er ging ins Wohnzimmer und setzte sich unaufgefordert aufs Sofa.
Frans setzte sich schweigend auf den Sessel gegenüber und ließ ihn zappeln.
»Was weißt du über einen Mann namens Hans Olavsen?«
Frans zuckte zusammen, hatte sich aber schnell wieder im Griff. Lässig lehnte
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