Engel aus Eis
Sargnägeln rauchen. Aber danach war Schluss. Definitiv.
»Ich kann total gut mit Babys umgehen.« Belinda sah Anna in die Augen. »Als Lisen klein war, habe ich Mama oft geholfen.«
»Dan hat mir erzählt, dass er und deine Mutter dich fast zwingen mussten, dich mit Freundinnen zum Spielen zu verabreden, weil du dich immer um das Baby kümmern wolltest. Und dass du das übrigens sehr gut gemacht hast. Ich hoffe also auf ein bisschen Unterstützung im Frühjahr. Du darfst alle Kackawindeln haben!« Sie knuffte Belinda in die Seite, und diesmal stupste das Mädchen zurück und sagte mit einem Blitzen in den Augen: »Ich nehme nur die Pipiwindeln. Abgemacht?« Sie streckte die Hand aus, und Anna ergriff sie.
»Abgemacht. Die Pipiwindeln gehören dir.« Nach einer kurzen Pause fügte sie hinzu: »Die Kackawindeln soll dein Papa übernehmen.«
Ihr Lachen hallte über den verlassenen Hafen.
Anna würde diesen Augenblick als einen der besten ihres Lebens in Erinnerung behalten. Der Moment, als das Eis brach.
Axel war beim Packen. Als er ihr die Tür öffnete, hielt er in jeder Hand ein Hemd auf einem Bügel, und an einer Tür im Flur hing eine Anzughülle.
»Fahren Sie weg?«, fragte Erica.
Axel nickte, während er behutsam die Hemden in die Hülle hängte, damit sie nicht zerknitterten.
»Ja, ich muss bald wieder arbeiten. Am Freitag fahre ich zurück nach Paris.«
»KönnenSie einfach abreisen, ohne zu wissen, wer …« Sie ließ ihre Worte in der Luft hängen und brachte den Satz nicht zu Ende.
»Ich habe keine andere Wahl«, antwortete Axel verbittert. »Wenn die Polizei meine Hilfe benötigt, komme ich natürlich mit dem nächstmöglichen Flug nach Hause, aber jetzt muss ich mich wieder meinen Aufgaben widmen. Außerdem … ist es nicht besonders konstruktiv, hier herumzusitzen und zu grübeln.« Müde rieb er sich die Augen, und Erica fiel auf, wie ausgezehrt er wirkte. Seit ihrer letzten Begegnung schien er um Jahre gealtert zu sein.
»Manchmal tut ein Tapetenwechsel ganz gut«, sagte Erica sanft. Sie zögerte. »Ich habe ein paar Fragen und würde gerne einige Dinge mit Ihnen besprechen. Haben Sie ein bisschen Zeit? Und Muße?«
Axel nickte matt und bat sie herein. Bei der Bank auf der Veranda, wo sie bei ihrem letzten Besuch gesessen hatten, blieb sie stehen, doch diesmal ging er an ihr vorbei in den nächsten Raum.
»Was für ein schönes Zimmer!« Atemlos sah sie sich um. Sie fühlte sich wie in einem Museum einer vergangenen Zeit. Sie schien in die Vierzigerjahre zurückversetzt, und obwohl alles sauber und ordentlich war, lag ein alter Geruch in der Luft.
»Weder unsere Eltern noch Erik und ich hatten viel für neumodischen Kram übrig. Mutter und Vater haben nie große Veränderungen am Haus vorgenommen, und Erik und ich haben es auch nicht getan. Da ich der Meinung bin, dass es in dieser Zeit unheimlich schöne Dinge gab, sehe ich keinen Grund, die Möbel gegen modernere und in meinen Augen hässlichere auszutauschen.« Gedankenverloren strich er über eine zierliche Kommode.
Sie ließen sich auf einem braunen Sofa nieder, das nicht besonders bequem war, sondern eine adrette und aufrechte Sitzhaltung erzwang.
»Sie wollten mich etwas fragen«, sagte Axel freundlich, aber mit einem Hauch von Ungeduld.
»Ja, genau.« Plötzlich war Erica verlegen. Sie war nun schon zum zweiten Mal hier und ging Axel mit ihren Fragen auf dieNerven, obwohl er so viele andere Sorgen hatte. Doch wie beim letzten Mal beschloss sie, dass sie ihre Absicht auch in die Tat umsetzen konnte, wenn sie schon einmal hier war.
»Ich habe gewisse Nachforschungen über meine Mutter und in diesem Zuge auch über ihre Freunde angestellt: Ihren Bruder, Frans Ringholm und Britta Johansson.«
Axel nickte und wartete Däumchen drehend auf die Fortsetzung.
»Es gab in ihrer Gruppe ja noch eine Person.«
Axel antwortete noch immer nicht.
»Gegen Ende des Krieges kam ein norwegischer Widerstandskämpfer mit dem Fischerboot meines Großvaters hierher … demselben Kutter, auf dem auch Sie oft mitgefahren sind.«
Er sah sie an, ohne zu blinzeln, aber sie merkte, dass sich seine Muskeln anspannten, als sie die Reisen erwähnte, die er nach Norwegen unternommen hatte.
»Ihr Großvater war ein guter Mann«, murmelte Axel nach einer Weile. Seine Hände, die er in den Schoß gelegt hatte, wurden auf einmal ganz ruhig. »Einer der besten, die mir je begegnet sind.«
Da Erica ihren Großvater nie kennengelernt hatte, wärmte es ihr
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