Engel aus Eis
zurecht, weil Hans nun eine zusätzliche Schicht auf dem Boot arbeitete und ihnen jede Krone gab, die er verdiente. Manchmal fragte sich Elsy, ob ihre Mutter nicht längst wusste, dass sie nachts in sein Zimmer schlich, aber die Augen davor verschloss, weil sie auf ihn angewiesen waren.
Als Elsy neben Hans im Bett lag und seine ruhigen Atemzügehörte, strich sie sich über den Bauch. Ihr war schon seit über einer Woche klar, dass sie in anderen Umständen war. Wahrscheinlich war es unvermeidlich gewesen, aber sie hatte das Risiko verdrängt. Trotzdem war sie innerlich ganz ruhig. Das Kind war doch von Hans. Das veränderte alles, was sie über Schande und Konsequenzen wusste. Niemandem auf der Welt vertraute sie so wie ihm. Sie hatte ihm zwar noch nichts davon gesagt, aber sie wusste, dass sie sich keine Sorgen zu machen brauchte. Er würde sich freuen. Sie würden sich gegenseitig unterstützen und gemeinsam eine Lösung finden.
Sie machte die Augen zu und ließ die Hand auf ihrem Bauch liegen. Irgendwo da drinnen verbarg sich etwas Winziges, das aus Liebe entstanden war. Aus ihrer Liebe. Was war daran falsch? Das Kind von Hans und ihr ein Fehler? Niemals.
Mit der Hand auf dem Bauch und einem Lächeln auf den Lippen schlief Elsy ein.
I n der Dienststelle herrschte seit der Exhumierung gespannte Erwartung. Mellberg lief natürlich mit stolzgeschwellter Brust herum und schrieb sich den Fund auf die eigene Fahne, wurde aber kaum beachtet.
Auch Martin konnte nicht verhehlen, dass er das Ganze unheimlich aufregend fand. Sogar in Göstas Augen blitzte es, als sie die Absperrung auf dem Friedhof bewachten. Genau wie die anderen hatte er begonnen, Theorien über die Zusammenhänge zu spinnen. Obwohl sie noch nicht viel wussten, hatten alle das starke Gefühl, dass die gestrige Entdeckung den Durchbruch bringen würde und die Lösung nun in greifbarer Nähe lag.
Ein Klopfen riss Martin aus seinen Gedanken.
»Störe ich?« Paula sah ihn fragend an. Er schüttelte den Kopf.
»Nein, komm rein.«
Sie setzte sich. »Was hältst du davon?«
»Ich habe noch keine Ahnung, aber ich bin tierisch gespannt auf Pedersens Bericht.«
»Glaubst du, dass er ermordet wurde?« Paulas braune Augen waren voller Neugier.
»Warum wurde die Leiche sonst versteckt?«, sagte Martin. Paula nickte. Zu diesem Schluss war sie auch schon gekommen.
»Die Frage ist doch, warum das plötzlich eine Bedeutung bekommt. Nach sechzig Jahren. Wir müssen fast davon ausgehen, dass die Morde an Britta und Erik mit dem eventuellen Mord«, sie zeichnete Anführungsstriche in die Luft, »an diesem Herrnhier zusammenhängen. Aber warum jetzt? Was hat den Stein ins Rollen gebracht?«
»Ich weiß es nicht«, seufzte Martin. »Hoffentlich ergibt die Obduktion handfeste Anhaltspunkte.«
»Und wenn nicht?«, sprach Paula den verbotenen Gedanken aus, der Martin auch hin und wieder kam.
»Eins nach dem anderen«, erwiderte er leise.
»Apropos«, wechselte Paula das Thema. »In der allgemeinen Aufregung haben wir die DNA-Proben ganz vergessen. Sollten nicht heute die Ergebnisse kommen? Wenn wir sie mit nichts vergleichen können, sind sie ziemlich nutzlos.«
»Du hast recht.« Hastig stand Martin auf. »Das erledigen wir sofort.«
»Wen nehmen wir zuerst, Axel oder Frans? Schließlich sollten wir uns in erster Linie auf diese beiden konzentrieren.«
»Frans.« Martin zog sich die Jacke an.
Nach Ende der Saison war Grebbestad genauso verlassen wie Fjällbacka. In dem Städtchen waren nur wenige Ortsansässige unterwegs. Martin parkte das Polizeiauto in der Haltebucht vor dem Restaurant Telegrafen, und sie gingen hinüber zu Frans’ Wohnung. Als sie klingelten, rührte sich niemand.
»Mist, wahrscheinlich ist er nicht zu Hause. Dann müssen wir eben später noch einmal wiederkommen. Oder vorher anrufen.« Martin machte kehrt und wollte zurück zum Wagen gehen.
»Warte mal kurz.« Paula hob die Hand. »Die Tür ist offen.«
»Wir können doch nicht einfach …«, wandte Martin ein, aber es war schon zu spät. Seine Kollegin war bereits eingetreten.
»Hallo?«, hörte er sie rufen und folgte ihr widerwillig. Aus der Wohnung kam keine Antwort. Vorsichtig durchquerten sie den Flur und warfen einen Blick in Küche und Wohnzimmer. Kein Frans. Alles war still.
»Lass uns im Schlafzimmer nachsehen«, sagte Paula ungeduldig. Martin zögerte. »Na los«, drängte sie. Seufzend fügte er sich.
Auch das Schlafzimmer war leer. Das Bett war sorgfältig gemacht,
Weitere Kostenlose Bücher