Engel aus Eis
dass sie so schnell in das Tempo und die Atmosphäre von Tanum hineingewachsen war. Stockholm fehlte ihr nicht im Geringsten. Möglicherweise lag das auch daran, dass sie als Polizistin dort die allerschlimmsten Dinge gesehen hatte und diese ihr Bild von der Stadt trübten. Doch im Grunde hatte sie überhaupt nicht dorthin gepasst. Weder als Kind noch im Erwachsenenalter. Ihrer Mutter und ihr war eine kleine Wohnung am Rande von Stockholm zugeteilt worden. Sie gehörten einer frühen Einwanderungswelle an, sie war das einzige Kind nichtschwedischer Herkunft in der Klasse und zahlte einen hohen Preis dafür. Jeden Tag und jede Minute musste sie dafür büßen, dass sie in einem anderen Land geboren war. Es nützte auch nichts, dass sieschon nach einem Jahr perfekt und völlig akzentfrei Schwedisch sprach. Ihre dunklen Augen und Haare verrieten sie.
Bei der Polizei wurde sie dann, den Vorurteilen vieler Menschen zum Trotz, keineswegs ein Opfer von Rassismus. Inzwischen hatten die Schweden sich an Menschen aus anderen Ländern gewöhnt, und sie galt fast nicht mehr als Einwanderin. Einerseits, weil sie schon so lange in Schweden wohnte, und andererseits, weil sie mit ihrer südamerikanischen Herkunft nicht annähernd so fremd wirkte wie die Flüchtlinge aus arabischen Ländern und vom afrikanischen Kontinent. Das war ihr oft absurd vorgekommen. Der Weg aus dem Immigrantenstatus wurde ihr durch die Tatsache geebnet, dass sie vertrauter wirkte als die Flüchtlinge der jüngsten Zeit.
Aus diesem Grund fand sie Männer wie Frans Ringholm so furchterregend. Sie sahen weder Nuancen noch Unterschiede, sondern betrachteten nur für eine Sekunde die Oberfläche und hefteten dann die Vorurteile aus Jahrtausenden daran. Genau deshalb hatten auch ihre Mutter und sie fliehen müssen. Irgendjemand hatte beschlossen, dass es nur einen einzigen richtigen Weg gab. Eine diktatorische Macht entschied, dass alles, was davon abwich, falsch war. Solche wie Frans Ringholm hatte es zu allen Zeiten gegeben. Menschen, die der Meinung waren, sie hätten die Intelligenz oder die Kraft oder die Macht, über die herrschende Norm zu bestimmen.
»Welche Hausnummer war es noch mal?« Martin drehte sich zu Paula um und riss sie aus ihren Gedanken. Sie sah auf den Zettel in ihrer Hand.
»Nummer sieben.«
»Da vorne.« Martin zeigte auf ein Haus, und Patrik stellte den Wagen ab. Sie befanden sich im Kullenviertel, einem Komplex von Mietshäusern oberhalb des Sportplatzes von Fjällbacka.
Das übliche Standardschild an der Tür war gegen eine viel persönlichere Holzplatte ausgetauscht worden. Um den verschnörkelten Namen Viola Ellmander rankten sich handgemalte Blumen, und die Frau, die die Tür öffnete, passte genau zum Namensschild. Viola war rundlich, aber wohlproportioniert, und ihr Gesicht strahlte Warmherzigkeit aus. Als Paulas Blickauf das romantisch geblümte Kleid fiel, sah sie vor ihrem inneren Auge auch einen Strohhut auf den zu einem Knoten zusammengesteckten Haaren der Dame thronen.
»Kommen Sie herein!« Viola machte einen Schritt zur Seite. Paula sah sich anerkennend im Hausflur um. Die Wohnung war ganz anders als ihre eigene, aber sie gefiel ihr. Sie war zwar noch nie in der Provence gewesen, aber so ungefähr stellte sie sich diese Region vor. Rustikale, ländliche Möbel kombiniert mit Stoffen und Bildern mit Blumenmotiven. Sie reckte den Hals, um einen Blick ins Wohnzimmer zu erhaschen, und stellte fest, dass der Stil auch dort konsequent durchgehalten worden war.
»Ich habe Kaffee vorbereitet.« Viola ging voran ins Wohnzimmer. Auf dem Tisch standen ein zartrosa geblümtes Service und ein Teller mit Keksen.
»Besten Dank.« Patrik setzte sich vorsichtig aufs Sofa. Nachdem sich alle vorgestellt hatten, schenkte Viola ihnen aus einer schönen Kanne Kaffee ein. Dann schien sie gespannt auf die Fortsetzung zu warten.
»Wie bekommen Sie die Pelargonien so toll hin?«, hörte Paula sich selbst fragen, nachdem sie am heißen Kaffee genippt hatte. Patrik und Martin sahen sie erstaunt an. »Also bei mir vertrocknen sie entweder, oder sie verfaulen«, fügte sie erklärend hinzu. Patriks und Martins Augenbrauen wanderten noch weiter nach oben.
Viola streckte voller Stolz den Rücken. »Ach, das ist eigentlich gar nicht so schwer. Sie müssen nur darauf achten, dass die Erde richtig austrocknet, bevor Sie sie wieder gießen, und man darf ihnen auf keinen Fall zu viel Wasser geben. Außerdem habe ich einen ziemlich guten Tipp von
Weitere Kostenlose Bücher