Engel aus Eis
sie sich ein Weilchen unterhalten hatten, winkte Erica den beiden zum Abschied und ging weiter zur Bibliothek. In gewisser Weise war sie erleichtert, dass die Frau, die acht Jahre lang eine wichtige Rolle in Patriks Leben gespielt hatte, nun nicht mehr gesichtslos war. Sie hatte noch nicht einmal ein Foto von ihr gesehen. Wenn man bedachte, unter welchen Umständen sie sich getrennt hatten, war es auch nicht weiter verwunderlich, dass Patrik keine Bilder aus ihrer gemeinsamen Zeit aufbewahrte.
In der Bücherei war es so ruhig wie immer. Viele Stunden hatte sie hier schon verbracht. Bibliotheken erfüllten sie irgendwie mit einem tiefen Frieden.
»Hallo, Christian.«
Der Bibliothekar hob den Kopf. Als er Erica erblickte, breitete sich ein Lächeln auf seinem Gesicht aus.
»Erica, schön, dich zu sehen! Womit kann ich dir heute dienen?« Sein Dialekt klang wie immer äußerst angenehm. Erica fragte sich, warum Menschen, die Småländisch sprachen, auf Anhieb sympathisch wirkten. In Christians Fall stimmte der erste Eindruck. Er war immer freundlich und hilfsbereit, und darüber hinaus war er ein guter Bibliothekar. Oft hatte er für Erica Informationen hervorgezaubert, von denen sie nur vage gehofft hatte, sie finden zu können.
»Geht es um denselben Fall wie beim letzten Mal?« Er sah sie erwartungsvoll an. Ericas Recherchefragen waren immer eine willkommene Abwechslung, da seine ansonsten recht eintönige Tätigkeit vor allem darin bestand, Informationen über Fische, Segelboote und die Fauna von Bohuslän herauszusuchen.
»Nein, heute nicht.« Sie setzte sich auf einen Stuhl vor dem Schalter. »Diesmal geht es um Menschen und Ereignisse in Fjällbacka.«
»Menschen und Ereignisse. Könntest du dich eventuell ein bisschen genauer ausdrücken?« Er zwinkerte ihr zu.
»Ich kann es versuchen.« Hastig ratterte Erica die Namen herunter: »Britta Johansson, Frans Ringholm, Axel Frankel, Elsy Falck, nein, ich meine Moström, und …«, sie zögerte kurz, »Erik Frankel.«
Christian stutzte. »Wurde der nicht umgebracht?«
»Doch«, erwiderte Erica kurz angebunden.
»Und Elsy? Ist das deine …?«
»Meine Mutter, genau. Ich brauche ein paar Informationen über diese Personen, rund um den Zweiten Weltkrieg. Weißt du was? Beschränke die Auswahl einfach auf die Kriegsjahre.«
»Mit anderen Worten: 1939 bis 1945.«
Erica nickte und verfolgte erwartungsvoll, wie Christian die gewünschten Angaben in den Computer eingab.
»Wie läuft es denn mit deinem eigenen Projekt?«
Ein Schatten fiel über das Gesicht des Bibliothekars. Kurz darauf war er wieder verschwunden. »Nett, dass du fragst, ich habewohl in etwa die Hälfte geschafft. Dass ich schon so weit bin, habe ich vor allem deinen Ratschlägen zu verdanken.«
»Ach was.« Beschämt wischte Erica das Lob beiseite. »Sag einfach Bescheid, wenn du noch mehr Tipps fürs Schreiben brauchst oder wenn du möchtest, dass ich das Manuskript lese. Gibt es eigentlich einen Arbeitstitel?«
» Die Meerjungfrau .« Christian wich ihrem Blick aus. »So soll das Buch heißen.«
»Was für ein toller Name, woher …«, begann Erica, aber Christian fiel ihr barsch ins Wort. Sie sah ihn erstaunt an. Das passte gar nicht zu ihm. Sie fragte sich, ob sie etwas gesagt hatte, das Anstoß hätte erregen können, doch ihr fiel nichts ein.
»Hier sind einige Artikel, die dich vielleicht interessieren. Soll ich sie dir ausdrucken?«
»Ja, bitte.« Erica war noch immer verwundert, aber als Christian wenige Minuten später mit einem Stapel Papier zurückkam, war er wieder die Freundlichkeit in Person.
»Damit hast du eine Weile zu tun. Komm zu mir, wenn du noch mehr Hilfe brauchst.«
Erica bedankte sich und verließ die Bibliothek. Zum Glück war das Café direkt davor geöffnet. Sie holte sich einen Kaffee und begann zu lesen, doch das, was sie entdeckte, war so spannend, dass sie ihr Getränk vollkommen vergaß.
»Was haben wir denn bislang herausgefunden?« Mellberg verzog das Gesicht und streckte die Beine aus. Dass Muskelkater so lange anhalten konnte! Wenn es in diesem Tempo weiterging, wäre er erst vor der nächsten knochenharten Salsastunde wieder fit. Merkwürdigerweise fand er das nicht so abschreckend, wie er gedacht hätte. Die Kombination aus der mitreißenden Musik, der Nähe zu Ritas Körper und der Tatsache, dass seine Füße gegen Ende der letzten Stunde allmählich den Bogen heraushatten, war durchaus reizvoll. Er würde nicht so schnell aufgeben. Wenn einer
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