Engel aus Eis
Erik.
Axel begriff, dass Britta wartete. Er riss sich vom Damals los und bemühte sich, eine Antwort im Jetzt zu finden. Doch wie immer war beides hoffnungslos verwoben, und die sechzig vergangenen Jahre verschmolzen zu einem Mischmasch aus Menschen, Begegnungen und Ereignissen. Die Hand an der Kaffeetasse bebte.
»Ich weiß es nicht. Vermutlich war es so gut, wie ich es verdient habe.«
»Ich hatte ein gutes Leben, Axel, und habe schon vor sehr langer Zeit beschlossen, dass ich das auch verdient habe. Das solltest du auch tun.«
Seine Hand zitterte immer heftiger, und der Kaffee schwappte auf das Sofa.
»Verzeihung … ich …«
Herman sprang auf. »Keine Sorge, ich hole einen Lappen.« Er verschwand in der Küche und kehrte kurz darauf mit einemklitschnassen blauweiß karierten Küchenhandtuch zurück, mit dem er vorsichtig den Fleck betupfte.
Britta jammerte so laut, dass Axel zusammenzuckte. »Oh, Mutter wird böse sein. Ihr schönstes Sofa. Das war nicht gut.«
Axel sah Herman fragend an, woraufhin der noch eifriger an dem Fleck rieb.
»Meinst du, der geht wieder weg? Mutter wird mit mir schimpfen!« Britta schaukelte vor und zurück und verfolgte Hermans Bemühungen voll Sorge. Er stand auf und legte den Arm um seine Frau. »Alles wird gut, Liebste. Ich bekomme den Fleck wieder weg. Das verspreche ich dir.«
»Bist du sicher? Denn wenn Mutter böse wird, erzählt sie es vielleicht Vater, und …« Britta biss sich nervös auf den Knöchel ihrer verkrampften Hand.
»Ich verspreche dir, dass der Fleck wieder weggeht. Sie wird nichts davon erfahren.«
»Das ist gut.« Britta entspannte sich. Dann erstarrte sie plötzlich und sah Axel erschrocken an. »Wer sind Sie? Was wollen Sie?«
Hilfesuchend wandte er sich Herman zu.
»Das kommt und geht.« Er setzte sich neben sie und klopfte beruhigend auf ihre Hand. Sie betrachtete Axel intensiv, als wäre sein Gesicht eine irritierende Täuschung, die ihr immer wieder entglitt. Dann packte sie Axels Hand und kam ganz nah an sein Gesicht.
»Er ruft nach mir.«
»Wer?«, fragte Axel und unterdrückte den Impuls, ihr sein Gesicht, seine Hand und seinen ganzen Körper zu entziehen.
Britta antwortete nicht. Stattdessen hörte er einen Widerhall seiner eigenen Worte.
»Manche Dinge darf man nicht unter den Teppich kehren«, flüsterte sie langsam.
Jäh riss er seine Hand los und blickte Herman über Brittas silbergrauen Scheitel hinweg an.
»Du siehst es ja selbst«, sagte Herman müde. »Was machen wir jetzt?«
»Jetzt benimm dich, Adrian!« Anna rackerte sich ab, dass ihr der Schweiß hinunterlief, aber er war in letzter Zeit ein Meister darin geworden, sich so zu winden, dass man ihm nicht einmal eine Socke überstreifen konnte. Sie versuchte, ihn festzuhalten und ihm eine Unterhose anzuziehen, aber er riss sich los und rannte lachend durchs ganze Haus.
»Bitte hör auf, Adrian. Mama kann nicht mehr. Wir wollen doch mit Dan nach Tanum. Einkaufen. Du darfst dir bei Hedemyrs die Spielsachen angucken«, lockte sie ihn. Ihr war durchaus bewusst, dass Bestechung wahrscheinlich nicht der geeignetste Ausweg aus der Anziehkrise war, doch was sollte man machen?
»Seid ihr immer noch nicht fertig?«, fragte Dan, als er die Treppe herunterkam und Anna neben einem Klamottenhaufen hocken sah, während Adrian wie ein Irrer herumflitzte. »Mein Unterricht fängt in einer halben Stunde an, ich muss bald los.«
»Dann mach es doch selbst«, zischte Anna und warf ihm Adrians Kleidungsstücke zu. Dan sah sie erstaunt an. In letzter Zeit war sie wirklich nicht besonders gut gelaunt, aber das war wohl kein Wunder. Zwei Familien zusammenzuführen war anstrengender, als sie erwartet hatten.
»Komm, Adrian.« Dan schnappte sich den nackten Wilden. »Wollen wir doch mal sehen, ob ich es noch kann.« Die Unterhose und die Socken schaffte er mit unerwarteter Leichtigkeit, aber dann kam es zum Stillstand. Adrian probierte seine Verrenkungskünste auch an ihm aus und verweigerte das Überstreifen einer langen Hose. Dan unternahm einige Versuche in ruhigem Ton, doch dann verlor auch er die Geduld. »Du sitzt jetzt STILL!«
Verblüfft hielt Adrian mitten in der Bewegung inne. Dann färbte sich sein Gesicht knallrot. »Du bist nicht mein Papa! Geh weg! Ich will zu meinem Papa. Papaaa!«
Das war zu viel für Anna. All die Erinnerungen an Lucas und die schreckliche Zeit, als sie wie eine Gefangene im eigenen Haus lebte, stiegen in ihr hoch, und sie konnte die Tränen nicht länger
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