Engel aus Eis
der Spaziergang mit Karin heute zu denken gegeben und … da dachte ich mir, vielleicht sollte ich dir etwas mehr Service bieten. Rechne aber bitte nicht ständig mit dieser Vorzugsbehandlung, möglicherweise erleide ich einen Rückfall.«
»Wenn man sich wünscht, dass der Mann zu Hause ein bisschen mehr mithilft, muss man ihn also nur zu einem Date mit seiner Ex schicken? Das muss ich unbedingt meinen Freundinnen erzählen …«
»Wahrscheinlich.« Patrik pustete auf seinen Löffel. »Es war allerdings kein richtiges Date. Sie hat es nicht gerade leicht.« Er fasste kurz zusammen, was Karin gesagt hatte. Erica nickte. Obwohl Karin zu Hause viel weniger Unterstützung zu bekommen schien als sie selbst, erkannte sie sich wieder.
»Wie lief es bei dir?« Geräuschvoll schlürfte Patrik die heiße Suppe.
Erica strahlte. »Ich habe wahnsinnig viel herausgefunden. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie viele spannende Dinge hier in Fjällbacka während des Zweiten Weltkriegs passiert sind. Es gab Schmuggel von hier nach Norwegen und andersherum: Lebensmittel, Nachrichten, Waffen und Menschen. Hierher kamennicht nur Norweger aus der Widerstandsbewegung, sondern auch desertierte Deutsche. Es gab Minen, von denen eine große Gefahr ausging. Einige Fischerboote und Frachtschiffe gingen mit der Besatzung unter. Wusstest du, dass die schwedische Luftwaffe 1940 vor Dingle ein deutsches Flugzeug abgeschossen hat? Alle drei Männer an Bord kamen ums Leben. Davon hatte ich nie gehört. Ich dachte immer, der Krieg wäre ganz unbemerkt an diesem Ort vorübergegangen, abgesehen von den Problemen mit der Rationierung und diesen Dingen.«
»Klingt, als hättest du dich richtig in das Thema vertieft«, lachte Patrik und gab Erica noch mehr von der Suppe.
»Du hast noch nicht alles gehört! Ich hatte doch Christian gebeten, auch die Sachen herauszusuchen, die möglicherweise etwas mit meiner Mutter und ihren Freunden zu tun haben. Eigentlich habe ich nicht geglaubt, dass er etwas finden würde, schließlich waren sie damals so jung. Aber guck mal hier …« Ericas Stimme bebte, als sie ihre Dokumentenmappe holen ging. Sie legte sie auf den Küchentisch und zog einen dicken Stapel Papier heraus.
»Das ist nicht wenig.«
»Ich habe drei Stunden nur gelesen«, sagte Erica und blätterte mit zitternden Händen. Schließlich fand sie, was sie gesucht hatte.
»Hier!« Sie zeigte auf einen Artikel mit einem großen Schwarzweißfoto.
Patrik nahm die Kopie in die Hand und betrachtete sie genau. Als Erstes zog das Bild seinen Blick auf sich. Fünf Menschen. Nebeneinander. Blinzelnd entzifferte er die Bildunterschrift. Vier Namen kannte er: Elsy Moström, Frans Ringholm, Erik Frankel und Britta Johansson, doch den fünften hatte er noch nie gehört. Es handelte sich um einen Jungen namens Hans Olavsen, der schätzungsweise im gleichen Alter wie die anderen war. Schweigend las er den Rest des Artikels. Erica ließ ihn nicht aus den Augen.
»Na? Was sagst du? Ich weiß nicht, was das bedeutet, aber es kann kein Zufall sein. Sieh dir das Datum an. Er kam fast genau an dem Tag nach Fjällbacka, als meine Mutter scheinbar aufhörte, Tagebuch zu schreiben. Oder? Das kann kein Zufall sein!« Erica ging fieberhaft auf und ab.
Patrik beugte sich erneut über die Fotografie und musterte die fünf Jugendlichen. Einer von ihnen war tot, sechzig Jahre später ermordet. Irgendetwas in seiner Magengegend sagte ihm, dass Erica recht hatte. Es musste etwas zu bedeuten haben.
Als sie zurück zur Dienststelle ging, schwirrte ihr der Kopf. Ihre Mutter hatte zwar erwähnt, dass sie beim Spazierengehen einen netten Mann kennengelernt und zum Salsakurs überredet hatte, aber Paula wäre nie auf die Idee gekommen, dass es sich um ihren Chef handelte. Es war nicht übertrieben zu behaupten, dass sie nicht gerade entzückt war. Mellberg war so ungefähr der letzte Mann auf diesem Erdball, den sie sich an der Seite ihrer Mutter wünschte. Allerdings musste sie zugeben, dass er mit der Information über sie und Johanna gut umgegangen war. Erstaunlich gut. Engstirnigkeit war ihr wichtigstes Argument gegen Tanum gewesen. Für sie und Johanna war es schon in Stockholm schwer genug, als Familie akzeptiert zu werden. In einem kleinen Ort … konnte es zu einer Katastrophe kommen. Sie hatte die ganze Sache jedoch mit Johanna und ihrer Mutter besprochen, und gemeinsam hatten sie sich darauf geeinigt, dass man ja zurück in die Hauptstadt ziehen konnte, wenn es hier
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