Engel der Finsternis (German Edition)
nur dass die Qualen dann noch ungleich größer sein würden als in den 1000 Jahren, die sie hatten überstehen müssen.
Meresin sah auf Hermann und erkannte mit erschreckender Deutlichkeit, dass er Franzi nicht würde beschützen können. Nicht auf ewig. Egal, wie sehr er es auch wollte.
Ein Page erschien in der Kammer und lenkte mit seinen hochmütigen Worten Meresins Aufmerksamkeit auf sich. „Wo ist diese Bauernschlampe?“
Die Kammerfrau mahnte ihn zur Ruhe und warf einen besorgten Blick auf den Säugling. Doch der seufzte nur leise und schlief weiter. „Wen meinst du?“
„Diese Franziska“, flüsterte der Page verlegen. Er hatte wohl damit gerechnet, Franzi hier anzutreffen und beabsichtigt, sie zu beleidigen. Viele der halbwüchsigen Jungen in der Burg hätten nichts dagegen einzuwenden gehabt, wenn sie ihre ersten Erfahrungen mit Franzi hätten sammeln können. Das Interesse des Grafen machte sie jedoch zu einer unantastbaren Person. Darüber war der Page ebenso verärgert wie die meisten anderen, die nun gezwungen waren, sich mit weit weniger hübschen Frauen zu amüsieren.
„Sie ist nicht hier“, erklärte die Kammerfrau unwirsch. „Wieso fragst du?“
„Der Graf wünscht sie zu sehen.“
Die Amme stieß einen leisen Fluch aus und die Kammerfrau schüttelte unmerklich den Kopf. „Geh in die Küche, vielleicht ist sie dort.“
„Da war ich bereits. Ich glaube, sie versteckt sich.“
Meresin verließ den Raum. Da sie ihn nicht sehen konnten, ging er quer durch den Raum zur Tür, ohne auf den Pagen und die Frauen zu achten. Er wusste genau, wo Franzi sich aufhielt.
11. Kapitel
Walburga bemerkte nicht, dass Balam seine Überraschung nur vortäuschte, als sie in der kleinen Dorfkirche auftauchte. Er stand neben dem steinernen Altar, den der Graf gespendet hatte. Auf dem roten Samttuch, das ihn bedeckte, lag eine aufgeschlagene Bibel zwischen zwei brennenden Kerzen. Der Altar war der einzige aus Stein gefertigte Gegenstand in der Kirche. Wände, Dach und Zierrat, alles war aus Holz gemacht. Hinter dem Altar hing ein stockfleckiger Wandteppich, auf dem undeutlich Adam und Eva im Paradies zu sehen waren. Ansonsten war die Kirche kahl und finster. Denn die Fenster besaßen keine Schieben, weshalb man die Läden meist geschlossen hielt, um die Kälte fern zu halten. Das Feuer in den beiden Dreifüßen war längst erloschen. Pfarrer Jakobus zündete es ohnehin nur während der Messen an, wenn überhaupt. Holz war knapp. Vor allem in diesem Winter, der ungewöhnlich streng war und schon sehr früh begonnen hatte.
„Komm zu mir, hier ist es wärmer.“ Balam streckte der frierenden Walburga die Hand entgegen. Sie tastete sich vorsichtig mit einem brennenden Holzscheit in der Hand voran und blickte sich unsicher und mit großen Augen in der Kirche um, als vermutete sie die Weiber irgendwo in der Finsternis.
„Keine Sorge“, beruhigte Balam sie, der genau wusste, woran sie dachte. „Sie sind nicht hier. Das Wilde Heer hat das Dorf verlassen, so wie du es wolltest. Du warst erfolgreich.“ Balams Stimme klang merkwürdig. Sein Lächeln besaß nicht mehr das Strahlen des Engels, es hatte etwas Unbestimmtes und schwer Erkennbares, das Walburga gleichzeitig erregte und erschreckte. Sein Körper war nicht mehr in dieses überirdische Licht gehüllt, das sie gerade eben noch an ihm gesehen hatte. Und die mächtigen Schwingen auf seinem Rücken lagen ebenso im Schatten wie seine ganze Gestalt. Nur das flackernde Licht der brennenden Kerzen warf einen matten Schein auf sein Gesicht. Einen flüchtigen Moment kam es Walburga so vor, als habe Balam plötzlich rote Augen. Aber schon im nächsten Moment sah sie wieder die vertrauten warmen, braunen Augen, die sie kannte.
Balams Hand war fest und warm. Sein ganzer Körper verbreitete eine wohlige, ungewohnte Wärme, die Walburga geradezu magisch anzog. Sie trat ganz nahe an ihn heran und sah zu ihm auf.
„Ich möchte mich bei dir für deine Hilfe bedanken“, murmelte sie leise und atmete schwer. „Du hast mich gerettet.“
„Das ist meine Aufgabe. Ich bin dein Schutzengel und habe den Auftrag erhalten, dir in allem beizustehen, was du tun willst.“ Balam genoss diesen Moment. Er sagte die reine Wahrheit, ohne dass Walburga die Doppeldeutigkeit seiner Worte hätte erkennen können. „Der Herr hat mich ausgesandt, um dir mit Rat und Tat beizustehen und dir die Pfade zu zeigen, die dir sonst vielleicht verborgen geblieben wären. Aber vergiss
Weitere Kostenlose Bücher