Engel der Finsternis (German Edition)
herab und sah ihn an, wie er friedlich in der großen Wiege schlummerte. Er wusste, dieser Säugling, den alle so bewunderten und vergötterten, war das personifizierte Böse.
Hermann war der Sohn eines Dämons, zur Hälfte Mensch und zur Hälfte ein Wesen aus der Unterwelt. Geschöpfe wie er lebten nur dafür, andere ins Verderben zu reißen. Dieser Junge würde bei jeder sich bietenden Gelegenheit Zwietracht und Misstrauen säen und die Menschen so lange gegeneinander aufbringen, bis sie anfingen, sich totzuschlagen. Er war dazu geboren, zu lügen, zu betrügen und zu blenden. Mehr als jeder andere würde er vollkommen bedenkenlos die Menschen den Dämonen in die Arme treiben. Es würde ihm ein Vergnügen sein, zu wissen, welches Schicksal sie erwartete. Und jeder von ihm ins Verderben gerissene Sünder würde seine Arbeit fortführen. So wie es die Gräfin und die anderen Frauen getan hatten, die jetzt zum Wilden Heer gehörten.
Meresin dachte an Franzi. Wie sollte er sie beschützen? Er war selbst nur ein Dämon. Auch er war nur aus einem Grund hier - um die Menschen ins Unglück zu stürzen. Wenn er es nicht tat, würden es andere tun. Das war ihm klar. Er brauchte sich gar nicht erst die Mühe machen, Agreas und Balam nachzuspionieren. Sie wollten Franzi, das wusste er. Nicht wegen ihr, sondern wegen ihm. Sie hatten längst erkannt, dass er sie zu beschützen versuchte. Das konnte er, solange die Weiber sie direkt angreifen wollten, wie dieses hässliche, verwachsene Geschöpf in der Kapelle. Selbst vor Agreas und Balam könnte er sie beschützen, ohne gegen den Befehl Gottes zu verstoßen. Denn die Dämonen waren an die Weisung eines Menschen gebunden. Sobald jedoch irgendjemand ihnen gegenüber den Wunsch äußerte, dass Franzi getötet oder angegriffen werden sollte, waren ihm die Hände gebunden. Er hatte bei der Nonne aus dem Kloster Buchau seine Grenzen erkennen müssen, auch wenn er sich zuvor noch Balam zum Feind gemacht hatte. Der Frau konnte er im Endeffekt nicht helfen. Aber das war eine andere Sache. Franzi war nicht wie diese Nonne.
Franzi war weder lüstern, noch wollte sie sich gegen den Willen Gottes auflehnen. Sie strebte nicht nach unrechtmäßig erworbenen Gütern oder Schönheit und Ruhm. Sie wollte nur wissen, wie sie aus eigener Kraft die Not der anderen lindern konnte. Doch auch sie war nur eine Frau, die irgendwann an die Grenzen des für sie Erträglichen kommen würde. Und dann wäre es um sie geschehen. Sobald sie bereit war, mit Hilfe übernatürlicher Mittel das Schicksal derer zu verändern, die ihr wichtig waren, war sie ebenso verloren wie jede andere, die nur an ihren eigenen Vorteil dachte. Selbstlosigkeit galt nichts vor dem Antlitz Gottes. Für ihn zählte nicht die Absicht, sondern nur die Tat. Ob Franzi einem anderen oder sich selbst helfen wollte, spielte keine Rolle. Wenn sie sich dazu Meresins oder Balams bediente, war sie verloren.
Dieser unscheinbare Säugling, der vor ihm im Bett lag und seufzend seine höllischen Traumbilder genoss, würde nichts unversucht lassen, Menschen wie Franzi in die Verzweiflung zu treiben. Gerade die Rechtgläubigen und Sanften würden seine Bosheit ganz besonders herausfordern. Sie zu ewigen Höllenqualen zu verurteilen, würde ihm den meisten Spaß bereiten. So wie seinem Vater Agreas. Meresin wusste, dass Agreas etwas mit Franzi plante. Er wollte den seit langem schwelenden Machtkampf zwischen ihnen beiden ein für alle Mal entscheiden. Und dazu würde er sich Franzis bedienen. So viel stand fest. Meresin war sich nur noch nicht ganz im Klaren darüber, wie er es genau anfangen wollte. Agreas würde jedenfalls nicht zögern, wenn seine Stunde gekommen war.
Erneut dachte Meresin daran, Franzi fortzuschaffen. Aber das war ein dummer Gedanke. Wo sollte sie sich denn vor Agreas verstecken? Außerdem konnte er nicht ewig an ihrer Seite wachen.
Agreas würde ihn vor das Höllentribunal zerren lassen, wo er sich vor Luzifer würde verantworten müssen. Und der war ohnehin nicht sein Freund. Aber durch Gottes Willen war er an die Weisungen Luzifers gebunden. Sich ihm zu widersetzen, würde bedeuten, dass die Erzengel Meresin ein zweites Mal vor Gott schaffen würden. Die Strafe, die ihn in so einem Fall erwartete, war bekannt. Jeder Dämon kannte sie. Einer der Erzengel hatte sie ausdrücklich davor gewarnt, sich noch einmal gegen Gott zustellen. Taten sie es doch, würden sie bis zum Jüngsten Tag in der Hölle gefangen gehalten werden,
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