Engel der Finsternis (German Edition)
oder der Peitsche bewahrte. Freilich mussten sie sich anschließend für diese kleine Gefälligkeit erkenntlich zeigen.
Katharina wütete nach jeder Einmischung ihres Mannes nur noch heftiger unter den Knechten und Mägden und suchte umso verbissener nach Gelegenheiten, einen von ihnen leiden zu lassen. Vor allem Franzi hätte sie nur allzu gerne schreien gehört. Doch Konrad hielt seine schützende Hand über sie und ließ nicht zu, dass ihr auch nur ein Haar gekrümmt wurde. Als ihm zu Ohren gekommen war, dass Katharinas erste Kammerfrau sich an Franzi vergriffen hatte, war er in die Gemächer seiner Frau gestürmt, hatte vor den Augen der Gräfin die Kammerfrau an den Haaren in die Höhe gerissen und ihr ins Gesicht geschlagen. Seither wagte niemand mehr, Franzi etwas anzutun.
Sie selber litt unerträglich unter dem Hass der Gräfin. Jeden Tag begegneten sie sich im Wehrturm von Burg Waldenfels, dem Wohnsitz des Grafenpaares. So sehr sich Franzi auch bemühte, der Gräfin in dem vierstöckigen Steinturm aus dem Weg zu gehen, es war vollkommen unmöglich. Franzi verließ, wann immer es ihre Aufgaben erlaubten, den Wehrturm und ging über die Holzbrücke den felsigen Hügel hinab, auf dem der Turm stand, und hielt sich so lange wie möglich in der Vorburg auf.
Diese war im Laufe der Jahre immer größer geworden, so dass die Grafen mehrfach gezwungen gewesen waren, die Holzpalisade um die Häuser, Werkstätten und Ställe zu versetzen. Erst im vergangenen Sommer hatte Konrad den Graben um die Palisade neu anlegen lassen müssen, weil nach dem Bau der steinernen Kapelle nicht mehr genug Platz für die Vorratshäuser vorhanden gewesen war. Mit dem kleinen Gotteshaus, der Wassermühle, den großen Häusern der Edlen und den vielen kleineren Bauten ringsum sah die Vorburg beinahe aus wie ein kleines Dorf. Nur befanden sich alle Gebäude in einem deutlich besseren Zustand als die Häuser der Leibeigenen in Schussenweiler. So manche Bauernmagd sehnte sich danach, hier wohnen zu dürfen. Doch nur wenigen Auserwählten wurde es auch wirklich gestattet. Franzi hätte eine davon sein können. Doch sie hatte das Angebot des Grafen abgelehnt. Weniger aus Furcht vor ihm und seinen Nachstellungen als vielmehr aus Verbundenheit zu ihrer Familie.
Freilich wussten es Heidrun und Walburga nicht im Geringsten zu schätzen. Sie tobten mehr denn je und beschimpften sie, weil Franzi die einzige war, die es sich leisten konnte, ein solches Angebot auszuschlagen, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen. Walburga hätte alles getan, um so eine Chance zu bekommen. Sie kreischte, heulte und jammerte, weil Konrad immer nur Augen für ihre verhasste Stiefschwester hatte. Heidrun warf Franzi vor, sie versuche gar nicht, ihrer Schwester zu helfen, und nannte sie selbstsüchtig und herzlos.
Auch am Morgen ihres achtzehnten Geburtstags war es nicht anders. In klirrender Kälte gingen die drei Frauen vom Dorf zur Burg. Heidrun und Walburga vorneweg, eingehüllt in dicke, schmutzig-braune Decken, die sie gerade eben noch über dem Feuer im Haus erwärmt hatten. Franzi in einigen Metern Abstand hinter ihnen, schlotternd und frierend in ihren löchrigen Lumpen, auf denen die Wasserflecken längst zu Eis erstarrt waren. Immer wieder warf eine der beiden vorneweg gehenden Frauen einen zornigen Blick über die Schulter zurück auf Franzi, dann steckten sie wieder die Köpfe zusammen und tuschelten erregt miteinander.
Franzi wusste, dass sie sich wieder über sie unterhielten und ihr alle möglichen Bosheiten und Fehler unterstellten. Dabei hatte sie sich schon mehrfach entschuldigt, weil sie eingeschlafen war und das Feuer hatte ausgehen lassen. Sie wusste nicht, wie ihr das nur hatte passieren können. Nur einen kurzen Moment hatte sie die Augen schließen wollen - mehr nicht. Da war sie eingeschlafen.
Franzi würde es so gerne wieder gut machen, aber die Mutter war unversöhnlich. Ganz in Gedanken versunken, ging sie mit gesenktem Kopf hinter Heidrun und Walburga her, die Lumpen fest um ihren schlotternden Körper gezogen, als plötzlich jemand seine Hand auf ihre Schulter legte.
„Guten Morgen, Franzi!“, begrüßte sie Raginhild. Sie und ihre Mutter Hildebranda waren ebenfalls auf dem Weg in die Burg, wo sie im Brauhaus arbeiten mussten.
„Ganz allein unterwegs?“, fragte Hildebranda scheinheilig mit einem gehässigen Grinsen im Gesicht. Sie hatte absichtlich laut gesprochen, weil sie wollte, dass Heidrun es hörte. „Ach, da seid ihr
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