Engel der Finsternis (German Edition)
glaubst du ja selber nicht, so wie die stinkt!“ Der Wachsoldat schüttelte den Kopf ungläubig und blickte von dem Pagen vor sich zur Kerkertür, hinter der Walburga sich befand. Der Graf konnte unmöglich dieses Frauenzimmer in diesem Zustand sehen wollen. „Die hat sicher die Krätze. Hast du sie schon mal gesehen, seit sie hier ist?“
Der Junge, der vielleicht neun oder zehn Jahre alt war, schüttelte den Kopf und wich ängstlich von der Kerkertür zurück. Der Soldat schob den Riegel zurück und stieß die Tür auf. „Oh Gott!“, schrie er und presste sich eine Hand vor Mund und Nase. Er würgte und wurde ganz grau im Gesicht.
„Bist du sicher, dass der Graf sie bei sich will?“
„Ja!“ Der Page verdrehte die Augen. Man konnte sehen, wie seine Knie schlotterten, als er eine Gestalt aus dem hinteren Teil des Verlieses kommen sah. „Da ist sie!“, stotterte er und zeigte mit dem Finger auf Walburga.
Der Soldat trat einen Schritt zurück, nahm seinen Speer in die Hand und richtete ihn auf Walburga. „Komm mir nicht zu nahe!“
Walburga taumelte aus der Zelle, tastete wie eine Blinde mit ausgestreckter Hand vor sich in der Luft herum und grunzte wie ein Schwein. Der Soldat stieß Walburga mit dem Schaft seines Speers gegen die Brust. „Stehenbleiben!“, kommandierte er streng. „Und mach endlich die Augen auf!“ Er wandte sich dem Jungen zu. „Und die ist tatsächlich unschuldig?“
„Der Kaplan hat gesagt, man solle sie freilassen und der Graf hat ihm zugestimmt.“
„Was will er denn dann noch von ihr?“
„Hieronymus will, dass sie mit ihrer Schwester redet.“
„Sag mal, Junge, stimmt es wirklich, die andere hat es mit einem Dämon getrieben?“
„Was meinst du?“
„War die andere mit einem Dämon zusammen? Ich meine so wie Mann und Frau?“
„Der Kaplan glaubt es.“
„Verdammte Scheiße! Das hätte ich der Kleinen gar nicht zugetraut.“
Walburga bekam die letzten Worte des Soldaten natürlich mit und blickte ihn blinzelnd an. „Was hast du gerade gesagt?“
„Halt`s Maul und verschwinde!“
„Ich möchte doch nur wissen …“
„Sieh zu, dass du Land gewinnst! Und fass ja nichts an hier unten!“
„Schon gut!“ Hieronymus beendete mit ernstem Blick Walburgas Wehklagen. Sie hatte sich im Saal des Wehrturms vor dem Grafen und den anderen hohen Herren auf die Knie geworfen, mit tränenerstickter Stimme für ihre Freilassung gedankt und ihre Unschuld beteuert. „Wir müssen dir einige wichtige Fragen stellen“, erklärte der Kaplan. „Es ist von allergrößter Wichtigkeit, dass du sie ehrlich beantwortest.“
„Ich würde euch nie belügen, Herr!“
Hieronymus hob die Hand und gebot ihr zu schweigen. Dann deutete er auf Franzi, die in einigen Metern Entfernung zwischen zwei Soldaten stand.
Walburga traute ihren Augen nicht, als sie ihre Schwester sah. Franziska lag in Ketten. Sie wirkte müde und erschöpft. In ihren Augen spiegelte sich unendliche Trauer wider. „Da ist sie!“, kreischte Walburga.
„Beruhige dich!“, mahnte der Kaplan. „Wir wissen, du hast von Anfang an deine Schwester beschuldigt, mit den Mächten des Bösen in Verbindung zu stehen. Es hat den Anschein, als ob du die Wahrheit gesagt hättest.“
Walburga sah ungläubig von einem Mann zum anderen. Der Burgkommandant, der Kaplan, der Graf und der Hausmeier saßen hinter einem Tisch, den man mitten im Saal aufgestellt hatte, und warteten gespannt darauf, wie sie auf diese Worte reagieren würde. Walburga war einfach nur sprachlos. War das ein Trick? Eine Falle? Oder meinte es der Kaplan wirklich ernst? Ihr gingen alle möglichen Gedanken durch den Kopf. Sie mahnte sich selbst zu Ruhe und Besonnenheit, was ihr aber nach der langen Zeit im Kerker und angesichts ihrer gefesselten Schwester schwerer fiel, als ihr lieb sein konnte. Wenn sie jetzt etwas Falsches sagte, würde der Graf sie sofort wieder in den Kerker werfen lassen. Also beschloss sie, erst einmal herauszufinden, was eigentlich geschehen war. „Was hat sie getan?“
„Das würden wir gerne von dir erfahren“, erwiderte der Graf in einem Ton, der zu freundlich klang, um echt wirken zu können.
Walburga kratzte nervös an den eitrigen Pusteln in ihrem Gesicht. „Ich verstehe Euch nicht, Herr!“
„Walburga, du hast gesagt, du hättest den Grafen warnen wollen“, erklärte der Kaplan. „Erinnerst du dich daran?“
„Nein, Herr! Es tut mir leid. Vergebt mir, aber ich …“
„Es ist gut. Aber du erinnerst dich doch
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