Engel der Finsternis (German Edition)
„Hulda!“
Meresin ließ ihn nicht los, hielt aber inne. Er sprach kein Wort, sondern wartete darauf, dass Agreas redete.
„Sie hieß Hulda! Die Menschenfrau, die du geliebt hast … damals … vor über 1000 Jahren.“
Meresin blieb stumm. Er sah mit regloser Miene auf Agreas hinab. Franzi verhielt sich vollkommen still. Eben hatte Meresin noch ihren Atem gehört, hatte wahrgenommen, wie sie bei jedem Schlag, den er erhielt, aufseufzte oder stöhnte. Jetzt schien sie die Luft anzuhalten. Meresin brauchte sich nicht erst nach ihr umzusehen, um zu wissen, dass sie ihn mit weit aufgerissenen Augen anstarrte und darauf wartete, was er Agreas antwortete.
„Sie hat dich nie vergessen. So lange sie lebte, hat sie von dir gesprochen.“
Meresin fragte nicht nach, woher er das wusste. Agreas war keiner der Engel, die zur gleichen Zeit mit ihm in die Hölle verbannt worden waren. Er war eines der Kinder, die damals von den Engeln gezeugt worden waren und erst später in die Hölle verbannt wurden. Denn Gott hatte zur Strafe für dieses Vergehen nicht nur die Engel selbst, sondern auch deren Kinder zu einem Dasein als Dämonen verurteilt. Meresin ahnte, was Agreas gleich sagen würde. Und er wollte es nicht hören.
„Sie ist meine Mutter. Und du … du bist mein Vater!“
Franziska war sprachlos. Meresin hatte nie so etwas erwähnt. Er sprach nie viel über das, was damals geschehen war. Sie hatte gemerkt, dass die Zeit vor seiner Verbannung etwas war, das ihm noch immer sehr zu schaffen machte. Also hatte sie ihn nie danach gefragt. Franzi wollte warten, bis er von sich aus bereit war, mit ihr darüber zu sprechen.
Dass er ein Geheimnis in sich trug, das ihn sehr quälte, hatte sie schon früh erkannt. Jedes Mal, wenn sie zusammen waren, hatte sie das Gefühl gehabt, er dachte an jemand anderen, sobald er sie betrachtete. Eine Frau vielleicht oder einen Freund. Sie hatte auch schon daran gedacht, er kannte womöglich ihre Mutter und ihre beiden Schwestern, die auf so grausame Weise sterben mussten. Missbraucht und mit aufgeschlitzten Kehlen hatte man sie damals inmitten des Waldes gefunden. Von den Tätern fehlte bis zu diesem Tag jede Spur. Dass er jedoch einen Sohn haben könnte, war ihr nie in den Sinn gekommen.
„Haben die Weiber es dir etwa nicht gesagt?“, spottete Agreas, der trotz seiner nachteiligen Position glaubte, langsam die Oberhand zu gewinnen.
„Die Weiber? Was hat das Wilde Heer damit zu tun? Willst du mir etwa sagen, dass Hulda zum Wilden Heer gehört? Ich hätte ihr begegnen müssen.“ Er verstärkte den Druck auf Agreas` Flügel, bis dieser stöhnte und die Zähne zusammenbiss.
„Ich meine nicht das Wilde Heer, sondern die Holden Frauen. Du warst doch bei ihnen.“
„Und?“
„Meine Mutter ist eine von ihnen!“
„Das ist unmöglich.“ Meresin wollte die Sache zu Ende bringen. Schluss mit den Lügen.
„Es ist die Wahrheit!“, schrie Agreas. „Harut hat sie gesehen. Würde er noch leben, könnte er es dir bestätigen. Sie hat meine Geburt überlebt. Berchta hat ihr das Leben gerettet, die Holden Frauen gerufen und verhindert, dass Huldas Seele dem Erzengel in die Hände gefallen ist. Der war nicht gerade begeistert.“ Agreas versuchte zu lachen. Es klang mehr wie ein Husten.
Meresin packte noch härter zu. „Das kann nicht sein. Alle schwangeren Frauen sind damals gestorben.“
„Woher willst du das wissen, du warst in der Hölle. Geh zu Berchta! Sie weiß, wo sie sich aufhält.“
Meresin fühlte sich wie gelähmt. Er erinnerte sich an das Gespräch mit den beiden holden Frauen im Wald. Eine hatte ihm gesagt, er solle auf alles gefasst sein. Sie wollte ihm nicht sagen, was sie damit meinte. Hatte sie auf Agreas und Hulda angespielt? Lebte Hulda tatsächlich noch? Als eine der Holden Frauen?
Nur einen Augenblick war er in Gedanken versunken. Aber der reichte Agreas, um einen Arm frei zu bekommen. Er packte ein Messer, das neben ihm auf dem Boden lag und warf sich blitzschnell herum. Meresin konnte es nicht mehr verhindern. Noch ehe er Agreas` Arm zu packen bekam, steckte das Messer bereits bis zum Schaft in Franzis Oberkörper. Ein Schwall Blut schoss heraus. Franziska röchelte erstickt und blickte fassungslos auf den Griff des Messers hinab. Sie legte beide Hände an den hölzernen Griff, taumelte einen Schritt nach vorne und sank auf die Knie.
„Meresin!“, hauchte sie kraftlos mit bleichen Lippen. „Ich lie…“ Blutüberströmt kippte sie zur Seite.
Meresin
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