Engel der Finsternis (German Edition)
gesprochen. Sie würde auf direktem Weg ins Paradies eingehen.
Und er würde sie niemals wiedersehen. Meresin war ein gefallener Engel. Das Paradies zu betreten, würde ihm auf ewig verwehrt bleiben. Sein einziger Trost war es, dass er Franzis Seele zu retten vermochte. Die Hölle würde ihr erspart bleiben und er hatte verhindert, dass sie sich dem Wilden Heer anschließen musste. Dafür würde man ihn jetzt bis zum Ende aller Zeiten jagen. Er war ein Verräter, ein Abtrünniger, ein Aufrührer. Schon zum zweiten Mal hatte er sich dem Willen Gottes widersetzt.
Meresin war des Kämpfens müde. Sollten sie ihn doch in die Hölle zerren. Er sah mit einem zärtlichen Blick auf Franzi hinab. Sie hatte es überstanden und er musste sie nun allein lassen. Denn der Erzengel würde gleich hier sein.
Sanft küsste Meresin sie auf die Stirn und berührte ein letztes Mal zärtlich ihre Lippen mit den seinen. Dann legte er sie nieder und erhob sich.
Schweren Schrittes verließ er die Kirche und setzte sich auf einen Stein. Er würde sich nicht vor dem Erzengel verstecken. Als es finster war, sah er, wie der Erzengel sich der Kirche näherte. Franzis Seele war also bereit, diese Welt zu verlassen.
30. Kapitel
„Du bist bereit?“ Der Erzengel, ein atemberaubend schönes, himmlisches Geschöpf, stand abwartend in der Kirche und hielt ihr eine Hand entgegen. Der Blick, mit dem er sie ansah, war voller Wärme und Güte.
Schweigend trat Franziska zu ihm an den Altar. Sie traute sich nicht, ihn anzusprechen, sich ihm zu offenbaren. Franzi war keine gelehrte Frau. Alles, was sie über das Jenseits und die Engel wusste, hatte sie von Meresin erfahren. Und dieses Wissen machte es ihr eher noch schwerer, offen und ehrlich zu dem Erzengel zu sein.
„Was bedrückt dich? Du wirst das Paradies sehen. Freue dich, so wie es alle anderen vor dir getan haben. Dein Leid hat ein Ende. Du wirst ewig leben und nie wieder Angst haben müssen. Wieso also zögerst du?“
„Es ist nicht wegen mir.“
Der Erzengel nickte. Franzi konnte sich nicht des Eindrucks erwehren, dass er sehr genau wusste, was sie dachte. Um ihn nicht zu erzürnen, verfiel sie erneut in Schweigen. Schließlich wusste sie nicht, ob er dann seinen Zorn womöglich an Meresin auslassen würde. Beim Gedanken an Meresin wurde ihr schwer ums Herz. Sie dachte wieder an die gemeinsamen Stunden in der Höhle, an seine Berührungen, die Tränen, die er ihretwegen in der Baumhöhle vergossen hatte. Ihr war, als könnte sie seine Verzweiflung regelrecht spüren. Weil sie ihn verlassen und ihn hier zurücklassen würde – ohne jemals zurückkehren. Jetzt verstand sie, wie er sich gefühlt haben musste, als man ihm sagte, dass er Hulda nie wiedersehen würde. Für ihn war die Unsterblichkeit kein Segen mehr. Sie war ihm zum Fluch geworden - ewige Trauer, kein Vergessen, ohne Aussicht auf Erlösung.
„Er sitzt vor der Kirche und wartet darauf, dass ich ihm das Urteil verkünde, das Gott über ihn gesprochen hat.“ Der Erzengel deutete mit seinem Flammenschwert auf das kleine Kirchenportal.
„Gibt es keine Rettung für ihn?“, wollte Franzi besorgt wissen, den Blick starr auf das Kirchenportal gerichtet, hinter dem Meresin wartete.
„Das hängt ganz von dir ab“, antwortete der Erzengel sanft. „Du kannst ihn retten. Sein Schicksal liegt in deinen Händen.“
„Sag mir was ich tun soll! Ich bin zu allem bereit. Wenn er nur wieder in den Himmel aufgenommen wird.“
„Das geht nicht.“
Nun verstand Franzi gar nichts mehr. „Aber du hast doch eben gesagt, ich könnte ihn retten.“
„So ist es. Aber sein Platz ist hier auf der Erde. So will es Gott und so wird es auch bleiben. Aber du kannst ihn erlösen von seinem Dasein als Dämon.“
„Wie?“, rief Franzi aufgeregt. „Sag es mir. Bitte!“
„Gott hat entschieden, dass die gefallenen Engel, die er als Dämonen auf die Erde zurückgeschickt hat, von ihrer Aufgabe entbunden werden können. Jedoch nur, wenn eine reine Seele sich aus freien Stücken bereit erklärt, ihretwegen auf das Paradies zu verzichten. Wenn du also freiwillig bereit bist, bis in alle Ewigkeit an Meresins Seite hier auf der Erde zu leben statt ins Paradies einzugehen, wird er erlöst. Bist du bereit, auf das Paradies zu verzichten? Für ihn?“
Als das Portal der Kirche sich öffnete, erhob Meresin sich von dem Stein, auf dem er sich niedergelassen hatte. Er war bereit, die Strafe für sein erneutes Vergehen auf sich zu nehmen. Ganz
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