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Engel der Kindheit

Engel der Kindheit

Titel: Engel der Kindheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Skyla Hegelund
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Millimeterdick strich Sonja Blutegelsalbe auf Georgs Unterkiefer. Achtlos ließ sie die Salbe auf dem Tisch liegen, genau beobachtete Lena jeden ihrer Handgriffe.
    „Nächstes Mal hole ich die Polizei! Irgendwann müssen sie reagieren!“ Ermattet schloss Georg die Augen, ließ den Kopf nach hinten auf das weiche Nackenpolster fallen und gönnte seinem Körper Ruhe, die er nach diesen Schlägen dringend benötigte. Noch immer ganz verängstigt sahen die Kinder ihren Vater an.
    „Helft ihr mir, den Tisch abzuräumen, ich denke, heute möchte keiner mehr etwas essen!“ Klappernd stellte Sonja die Teller aufeinander, das Besteck sammelte sie auf dem obersten Teller. Sofort ergriff Lena den silberglänzenden Brotkorb und die Salbe, Philipp murrte vor sich hin und trug widerwillig die Butter und die Wurst in die Küche.
    Ohne, dass jemand etwas merkte, versteckte Lena drei Scheiben Brot unter ihrem T-Shirt, klemmte die Scheiben in ihren Rockbund. Flink, als ihre Mutter und Philipp die Küche verlassen hatten, nahm sie drei Scheiben Wurst, wickelte sie in ein Küchenpapier und trug es auf ihr Zimmer. Nachdem sie es zusammen mit der Salbe unter ihrem Kindertisch versteckt hatte, lief sie auf die Terrasse, trug Gurke, Paprika und Radieschen in die Küche. Ebenso wie zuvor die Wurst, wickelte sie von dem frischen, knackigen Gemüse etwas in ein Tuch und trug es zu ihrem Versteck.
    Widerspruchslos putzte sie ihre Zähne und zog ihr Nachthemd über. Unkonzentriert erzählte ihre Mutter ihr eine Gutenachtgeschichte, mit ihren Gedanken war sie weit weg, bei Nils. Ebenso, wie Lena, die auch nur an Nils denken konnte. Traurig stellte sie sich vor, wie er hungrig in dem dunklen Schuppen saß und sich nicht heraus traute.
    „Heute wirst du nicht nach deinen Schützlingen sehen! Papa geht nachher noch die Ställe durch und schaut nach, ob alles in Ordnung ist! Gute Nacht, Engelchen, schlaf schön!“ Wie immer im Sommer ließ ihre Mutter die Terrassentüre, die auf die kleinere Ostterrasse hinter dem Haus führte, geöffnet, den zweiflügligen Klappladen stellte sie schräg gegeneinander, so dass nur gedämpftes Licht hereinschien.
    „Gute Nacht Mami!“ Artig legte Lena sich in ihr Kissen, deckte sich mit der leichten Sommerdecke zu und drehte sich zur Seite.
    Sofort, als die Mutter das Zimmer verlassen hatte, schnappte sie sich die Salbe, das Brot, die Wurst und das Gemüse. Leise, auf Zehenspitzen, öffnete sie eine Seite des Klappladens, lehnte ihn wieder so dagegen, wie zuvor, dann rannte sie, wie den Abend zuvor, über den stoppeligen Rasen, öffnete das Tor, überquerte die duftende Blumenwiese und war froh, als sie hinter den Bäumen verborgen, den Schuppen erreichte.
    „Nils! Nils, ich bin es, lass mich rein!“ Leise und doch so laut, dass er es hören musste, klopfte Lena gegen die baufällige Holztür.
    Sie hörte wie Nils die vorgeschobenen Sachen zur Seite rückte und einen Spaltbreit die Türe öffnete. Geschwind schlängelte sie sich hindurch.
    „Ich hab’ dir etwas zum Essen mitgebracht!“ Vertrauensvoll fasste sie ihn an der Hand, sicher führte er sie zu der Matratze. Das Licht der Taschenlampe ließ ihn erkennen, was Lena ihm mitgebracht hatte. Traurig sah Lena die Tränenspuren auf seiner Wange, die, vermischt mit Schmutz und Dreck, Spuren hinterlassen hatten.
    Gierig schlang er die Brote in sich hinein. Bis auf den letzten Krümel hatte er im Nu alles aufgegessen.
    „Danke, Engelchen!“ Beinahe ehrfürchtig berührte er ihr blondgelocktes Engelshaar, das erstaunlich fest und kräftig war.
    „Ich habe eine Salbe mitgebracht, damit werde ich dich einschmieren! Leg dich mal hin!“ Etwas Befehlendes hatte ihr Ton an sich. Zögernd zwar, aber er gehorchte ihr, schlüpfte er aus seinem dunkelblauen, verwaschenen T-Shirt, senkte den Kopf, denn er wollte nicht das Entsetzen in ihren Augen sehen und legte sich bäuchlings auf die Matratze.
    Mitfühlend schossen Lena die Tränen aus den Augen, als sie die längst vernarbten Striemen sah, auf denen viele neue, blaurot unterlaufenen Male, jeweils in der Größe eines Untertellers und frische dunkelrote Striemen zu sehen waren. Keine einzige Stelle an seinem Rücken hatte die normale, blasse Hautfarbe.
    Leicht zitterte ihre Hand, als sie auf das Ende des Tubenfalzes drückte und die weiße Creme auf ihren Finger nahm. Sorgfältig schmierte sie damit Nils Rücken ein. Mehrmals musste sie neue Creme herausdrücken, da für die vielen Stellen die Creme nicht

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