Engel der Kindheit
Alles Wichtige war auf den kindlichen, naiven und bezaubernden Bildern zu sehen.
„Ist das schön, Babs! Vielen Dank!“ Sachte, mit der ihr eigenen Anmut, blätterte Lena in Ruhe die Bilder durch. Geduldig ließ sie sich erklären, was Babs gesehen, sich vorgestellt hatte, als sie jedes einzelne Bild danach gemalt hatte. Zwischen Lenas überkreuzten Beinen saß Babs und schmiegte ihren Rücken an die Brust ihrer Mutter.
„Komm, jetzt gehen wir zur Momi, die habe ich noch gar nicht richtig begrüßt!“ Fröhlich nahm Lena die kleine Hand ihrer Tochter in ihre, zusammen liefen sie über den Flur in die Küche.
„Hallo, Mama!“ Herzlich umarmte Lena ihre Mutter, die sich verstohlen eine Träne aus dem Augenwinkel wischte.
„Lena! Es ist so schön, dich wieder hier zu haben! Ich hatte solche Angst um dich!“ Forschend betrachtete Sonja das Gesicht ihrer Tochter. Ihren Liebreiz hatte sie wiedergewonnen. Ununterbrochen strahlte Lena glücklich in die Augen ihrer Tochter Babs und sah vollkommen zufrieden aus. Dieser Schatten in ihrem Blick, an den hatte Sonja sich gewöhnt, der gehörte zu Lena, wie ihre Anmut.
„Dort liegt deine Post!“ Als Lena alles Wichtige erzählt hatte, deutete Sonja auf die Küchenablage.
Rasch sah Lena die Briefe durch, überflog die Absender und blieb an einem maschinengeschriebenen Brief mit australischer Marke hängen. Bis zum Hals schlug ihr wehes Herz, zitternd fuhr ihr Finger in die Öffnung des Kuverts und riss den Umschlag auseinander.
Fassungslos starrte Lena auf einen Zeitungsausschnitt. Eine Flut von Tränen stürzte in ihre Augen, ihre Hände vibrierten, sie war nicht mehr in der Lage die Buchstaben zu erkennen, aber sie wusste, was sie in Händen hielt. Die Luft wurde ihr zu dünn, ziehend schnappte sie nach Atem, ihre Hand griff an ihren Hals, bang schnappte sie nach Luft, immer wieder, bis ihre Mutter auf sie aufmerksam wurde.
Erschrocken sah sie Lenas hervortretende Augen, sie hörte dieses pfeifende Atemgeräusch und konnte nur noch zusehen, wie ihre Tochter zusammenbrach. „Georg!“ Brüllte Sonja durch das Haus, so laut sie konnte. „Georg, Hilfe!“ Mit fliegenden Fingern öffnete Sonja ihrer Tochter die Bluse, fächelte ihr Luft zu und wusste nicht, was sie tun sollte.
Sich krümmend lag Lena auf dem Boden, schnappte pfeifend und zischend nach Luft, ihre Lippen waren blau angelaufen, das Dreieck um ihre Nase war kalkweiß.
Alarmiert kam Georg angerannt, erkannte auf den ersten Blick, dass es ein Asthmaanfall seiner Tochter war, durchsucht ihre Taschen, da er das Gespräch des Arztes verfolgt hatte, fand aber kein Spray, hastete zu der Schublade, in der sie Tüten aufbewahrten. Hysterisch schrie Sonja ihn an, endlich etwas zu tun, im Nu war er wieder bei ihr und presste ihr eine kleine, geöffnete Tüte vor die Nase und den Mund.
Allmählich wurde Lenas Atmung regelmäßiger, langsam schlug sie die Augen auf, hustete rasselnd und pfeifend, vorsichtig setzte sie sich auf.
Verängstigt kauerte Babs auf dem Boden, hielt sich die Augen und Ohren zu und wimmernd schluchzte sie vor sich hin.
„Babs, es ist alles gut! Komm zu mir!“ Mühsam brachte Lena die Worte über die Lippen, als Babs nicht reagierte, erhob sie sich zitternd und setzte sich neben ihre Tochter, zog sie auf ihre übereinandergeschlagenen Beine.
„Mami, ich dachte du stirbst! Bist du noch nicht gesund?“ Eingeschüchtert kroch Babs in ihre Arme, schlang die Ärmchen fest um ihren Rücken und presste das verweinte Gesicht an ihre gerüschte Bluse.
„Doch, ich bin wieder gesund! Manchmal kann ich nicht richtig atmen, dann muss ich ein Spray nehmen, das ich dummerweise in meiner Handtasche habe!“ So plötzlich hatte der Anfall Lena überfallen, sie hatte nicht mehr reagieren können. Ordentlich saß der Schreck ihr in den Gliedern. Den Anfall auf Amrum hatte sie auf die verrauchte Wirtsstube geschoben, aber hier rauchte niemand. Es war der Schreck über Nils Hochzeitsanzeige gewesen, der ihr die Luft zum Atmen geraubt hatte. Dieser messerscharfe Stich und überwältigende Schmerz in ihrem Herzen war mit nichts vergleichbar gewesen, was sie jemals durchgemacht hatte. Er war wirklich verheiratet! Rodney! Seine Frau war die Tochter seines Arbeitgebers! Nicht mit einer x-beliebigen hatte er sich eingelassen, sondern das große Los gezogen. Plötzlich zweifelte Lena an seinen Worten, dass er seine Frau nicht lieben würde, dass sie eine Hexe und ein Biest wäre. Jetzt hätte er keine
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