Engel der Kindheit
Mensch war, den er an sich heranließ. Beinahe sehnte er sich nach den Prügeln seines Vaters, weil er dann wusste, dass Lena zu ihm kam.
„Mann, du bist voll langweilig! Lass uns doch ins Freibad gehen, wir könnten mit den anderen Fußball übers Netz spielen, vielleicht sind auch ein paar Mädchen dabei! Mann, du findest nie eine Frau!“ Beleidigt schaute Philipp zu seinem Freund. Dann würde er eben mit den anderen aus seiner Klasse ins Freibad gehen, Nils war sowieso ein Spielverderber! Zu nichts hatte er Lust, immer nur zu den Schiffen zu fahren wurde Philipp zu langweilig.
„Dann geh doch alleine! Du brauchst mich doch nicht!“ Immer wieder versuchte Philipp ihn zu überreden, mitzugehen. Ein paar Mal war er im Freibad oder am Weiher dabei gewesen, war im T-Shirt ins Wasser gegangen und hatte es auf seiner Haut trocknen lassen. Verwundert hatten ihn die anderen angesehen, aber Nils hatte eine solch abweisende Miene aufgesetzt, dass keiner sich getraut hatte nachzufragen, weshalb er im T-Shirt schwimmen ging. Nur Lena, die dabei gewesen war, hatte ihn heimlich verstehend angelächelt.
Nach der Schule schwang Nils sich auf sein altes, verrostetes Fahrrad, Philipp fuhr neben ihm mit seinem neuen Mountainbike. Sie fuhren an Lena und ihren Freundinnen vorbei, die ihre Räder schoben, um sich noch ein wenig länger unterhalten zu können.
„Bis morgen!“ Das Bein über den Sattel schwingend, stieg Nils vor dem Gartentor seiner Eltern ab.
„Willst du nicht doch mitkommen? Vielleicht kommen ein paar Mädchen?“ Nie gab Philipp die Hoffnung auf, manchmal hatte er den Freund am Mittag überreden können, mitzukommen.
„Also, schön! Freibad oder Weiher?“
„Freibad!“
„Ich klettere über den Zaun! Wann fahren wir los?“ Um eine Eintrittskarte zu bezahlen hatte Nils kein Geld. Bisher war er noch nie erwischt worden.
„Um zwei!“
Hinterher ärgerte Nils sich über sich selbst, nachgegeben zu haben, sein einziger Hoffnungsschimmer war, dass Lena mitkommen würde, obwohl Philipp meist etwas dagegen hatte, seine kleine Schwester im Schlepptau dabei zu haben.
„Hi Mom!“ Lässig trat Philipp in die moderne Küche, in der seine Mutter das brutzelnde Fleisch aus der Gusspfanne nahm.
„Hallo Philipp, wie war dein Tag?“ Zu einem losen Zopf hatte sie ihr schulterlanges Blondhaar gebunden.
„Ganz okay, heute Mittag gehen wir ins Freibad! Nils geht mit!“ Natürlich wusste Philipp, dass seine Mutter sich darüber freuen würde. Da er eine schlechte Mathearbeit im Ranzen hatte, musste er sie milde stimmen.
„Das freut mich! Er ist so einsam!“ Zu gut kannte Sonja ihren Sohn, sie sah ihn abwartend an, da sie wusste, dass er etwas zu verbergen hatte.
„Und?“
„Fünf minus, Mathe!“
„Oh, Philipp! Möchtest du nicht mal Nils fragen, ob er es dir erklären kann?“ Nach Nils Note in Mathe musste Sonja nicht fragen, sie wusste, dass er eine Eins hatte, Nils hatte das mathematische Verständnis, das ihrem Sohn fehlte.
„Wie denn? Er darf nicht zu uns und ich geh’ da nicht rüber!“ Auch wenn Philipp sich keine Gedanken um das Geschehen im Nachbarhaus machte, so würde er dieses zerfallenen Haus nicht betreten, in dem er nie sicher sein konnte, dass Nils Vater plötzlich auftauchen würde.
„Frag ihn doch heute Mittag!“
„Nee, Mom! Heute Mittag wollen wir Spaß haben!“
Mehr recht als schlecht quälte Philipp sich durch das Gymnasium. Zum Lernen hatte er keine Lust, nur wenn es nicht mehr anders ging, bevor er riskieren musste, sitzen zu bleiben, klemmte er sich hinter die Fächer, die er verabscheute, allen voran, Mathe! Beneidenswert schrieb Nils eine gute Note nach der anderen, kein Fach bereitete ihm Schwierigkeiten.
„Hallo, Mami!“ Lächelnd kam Lena zur Türe herein. Wie sooft fragte Sonja sich, wo der Schwung, die übersprudelnde Energie ihrer Tochter geblieben war. Natürlich veränderten sich die Kinder und Jugendlichen, vor allem, wenn sie in die Pubertät kamen, aber ständig lag ein dunkler, nichtgreifbarer Schatten über ihrem Wesen, der sie klüger und weiser erscheinen ließ, als ihre Altersgenossen.
„Hallo Engelchen! Helft mir mal den Salat und das Fleisch rüber zutragen!“
Ohne Murren griff Lena nach der schweren Fleischplatte, während Philipp vor sich hinmurmelte. Es hörte sich an wie `Kinderarbeit, ich habe in der Schule auch gearbeitet, jetzt soll ich hier noch im Haushalt schuften! ´ Messerscharf sah Lena ihn an.
„Dir wird kein Zacken aus der
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