Engel der Kindheit
Sonnenstrahlen gestreichelt, watete Lena durch das erfrischende Meerwasser und dachte an Nils, der irgendwo mit ihr über dieses Wasser verbunden war.
Oft waren seine Briefe mutlos, da er am Ende seiner Kräfte war. In ihren Briefen versuchte sie ihm Kraft zu geben, bat ihn, nicht zu verzweifeln und hoffte, dass sie zu ihm kommen konnte, wenn er sein Studium abgeschlossen hatte.
Mit Bedauern hatte Lena Krischans Blick gesehen, sie hatte gespürt, dass er mehr in ihr sah, wie die Freundin, die einmal im Jahr für drei Wochen hier auf der Insel verweilte. Heute Abend musste sie ihm diese Hoffnung nehmen, auf die Gefahr hin, dass er sie dann nicht mehr sehen wollte und sie die Seehundstation nicht mehr besuchen dürfte.
Aufgeregt wedelte Babs mit ihren Armen bei jeder Welle, die heran rollte und zog Lenas Aufmerksamkeit auf sich. Ausgelassen bückte Lena sich mit ihr und tauchte das Händchen ihrer Tochter in das eisige Nass ein, die vor Lachen quietschte, als sie das kalt schäumende Meerwasser spürte. Kräftig patschte sie auf die Wasseroberfläche, sosehr, dass Lenas und Babs Gesicht mit Salzwassertropfen bedeckt war.
Vergnügt lachte Lena, als sie das schmollende Gesichtchen ihrer Tochter sah, die erschrocken innegehalten hatte.
Am Abend legte sie Babs in das kleine Gitterbettchen, das die Vermieterin in Lenas gemütliches Bauernzimmer gestellt hatte. Müde fielen ihrer kleinen Tochter nach dem Stillen die Äuglein zu. Zufrieden nahm sie ihren Daumen in den kleinen Mund und nuckelte sich in den Schlaf. Einen Schnuller hatte Babs von jeher abgelehnt. Zärtlich streichelte Lena ihrer Tochter über die niedlichen Pausbacken, deckte sie vorsichtig zu, verdunkelte das Zimmer und schloss leise die Türe.
„Wenn sie aufwacht, ich habe mein Handy an!“ Auf Zehenspitzen betrat Lena das kleine Wohnzimmer, indem ihre Mutter und ihr Vater gemütlich auf der bäuerlich geblümten Couch saßen. Beide hielten ein Buch in der Hand und lasen interessiert die neubegonnenen Geschichten.
Zufrieden lächelnd sah Sonja zu ihrer Tochter hoch, die strahlend schön aussah in ihrem schmalgeschnittenen, bis zu den Knöcheln reichenden Kleid. Der matt dunkelviolette Farbton unterstrich den Farbton ihrer Augen. Einem luftig wallenden Vorhang gleich fiel ihr Blondhaar über die entblößten Schultern und bedeckte sie. „Viel Spaß!“
Nicht zu überhören, begrüßte ihre Vermieterin lautstark, voll überraschter Verzückung, Krischan in der Diele. Lautlos öffnete Lena die Türe ihrer Ferienwohnung und trat zu den beiden Einheimischen, die in einem Dialekt miteinander sprachen, bei dem sie nichts verstand.
„Lena!“ In diesem einen Wort lag all seine offenkundige Bewunderung, die er für sie empfand.
„Grüß dich, Krischan!“ Etwas verlegen wegen seiner unverkennbaren Schwärmerei, streifte Lena den schmalen Träger ihrer Handtasche über die Schulter und trat neben Krischan, der selbstverständlich ihre Hand ergriff, nachdem sie sich mit einem Kuss auf die Wange begrüßt hatten. Sorgfältig hatte er sich für sie fein gemacht, stand vor ihr in einer ordentlich gebügelten Jeans und einem weißen Hemd, locker hatte er den Zeigefinger in den Aufhänger seines Jacketts gesteckt, das er über seine linke Schulter geworfen hatte. Vergeblich hatte er versucht sein blondgelocktes Haar zu bändigen, es weigerte sich, die vorgegebene Richtung einzuhalten und stahl sich aus der ordentlichen Frisur, die ihn so viel Zeit gekostet hatte.
Lächelnd sah Lena ihn an, nur schwer konnte sie der Versuchung widerstehen, ihre Hände auszustrecken und sein Haar zu verwuscheln. Heute sah er gar nicht wie der Krischan aus, den sie kannte.
Zu Fuß gingen sie nebeneinander her, über die geschlängelten Wege, zwischen den kurzgemähten Wiesen hindurch, die süßlich frisch und verführerisch nach Sommerabend dufteten.
„Du hast mir heute einen ganz schönen Schrecken verpasst, weißt du das?“ Herzklopfend war Krischan stehen geblieben und streifte ihre raues Haar hinter ihr Ohr. Sanft berührte seine Hand ihre zarte Wange.
„Nicht, Krischan, bitte! Auch wenn Nils in Australien ist, liebe ich ihn! Es wird keinen anderen Mann für mich geben!“ Felsenfest blickte Lena in seine wasserblauen Augen, die vom Schein der untergehenden Sonne angestrahlt wurden und deren Lichtstrahlen sich darin wiederspiegelte.
„Lena, das kann nicht dein Ernst sein!“, rief er aus, tieftraurig sah er sie dabei an, konnte sich kaum zurückhalten, sie in seine
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