Engel der Kindheit
Arme zu reißen.
„Es ist mir sehr ernst damit! Bitte, lass uns Freunde bleiben! Es würde mir wehtun, dich zu verlieren!“ Kameradschaftlich ergriff sie seine Hand und zog ihn weiter über den Weg zu den gemütlichen Fachwerkhäusern in Amrums Kern.
Nachdenklich legte er den Arm um ihre Schultern, zog sie an sich und grollte in Gedanken dem Mann, der zwischen ihnen stand.
Betont freundschaftlich legte Lena den Arm um seine Hüfte, hackte ihren Daumen in die Schlaufe seiner Jeans und versuchte, ihn mit Fragen über die Seehundstation abzulenken.
Bereitwillig ging er auf ihre Fragen ein, antwortete ihr ausführlich. Bis sie an dem gemütlichen Lokal ankamen, waren sie in ein angeregtes Gespräch über das Aussetzen der Seehunde vertieft.
Urig gemütlich war die Einrichtung des früheren alten Bauernhauses. Einzeln stehende Holztische, die Stühle mit derbem, geblümten Stoff überzogen, waren eingedeckt mit einer strahlend weißen Tischdecke und einer rotbestickten Mitteldecke darüber. Auf den Tischen leuchteten kleine Stehlämpchen hinter dunkelrot geblümten Lampenschirmen. In selbstgetöpferten, blau lackierten Vasen dufteten frische Sommerblumen in der Mitte jedes Tisches.
Fürsorglich zog Krischan Lenas Stuhl zurück, wartete, bis sie Platz genommen hatte und setzte sich ihr gegenüber.
„Möchtest du mir von Nils erzählen?“ Bohrend brannte der Schmerz in Krischans Herz, stärker, als er es erwartet hatte.
Letztes Jahr hatte er mehrere lockere Beziehungen zu Frauen gehabt, die sich hier auf Urlaub befanden, aber nie war sein Herz davon berührt geworden. Ganz im Gegensatz dazu, wenn er Lena betrachtete. Bis in den letzten Winkel seines Herzens ging ihm ihr Blick.
„Eigentlich nicht! Nur so viel, dass er neben mir aufgewachsen ist. Sein Vater hat ihn jahrelang schwer misshandelt, ich habe mich...“, sie sah das wissende Lächeln in Krischans Gesicht, „... ich habe mich um ihn gekümmert, bis er es nicht mehr ertragen konnte und auf einem Segelschiff angeheuert hat. An dem letzten Abend, den er hier verbrachte, ist aus uns ein Liebespaar geworden. Jetzt lebt er in Australien, studiert Schiffsbau und arbeitet nebenher in einer Werft. Wenn er mit seinem Studium fertig ist, werde ich zu ihm gehen!“ Ernst und ihrer Gefühle sehr sicher, blickte sie Krischan an.
„Lena! Bist du sicher, dass du nicht Mitleid mit Liebe verwechselst? Er ist für dich doch wie ein verwundetes Tier, um das du dich kümmern musstest, daraus entwickelt sich eine Liebe, aber nicht die Liebe, die zwei erwachsene Menschen verbindet!“ Leichter ums Herz, seit ihrer Erzählung, stützte Krischan das Kinn auf seine gefalteten Hände und sah sie herausfordernd an.
„In vielen Fällen magst du Recht haben, aber in diesem nicht! Ich liebe Nils wirklich und ich vermisse ihn! Es vergeht keine Sekunde, an der ich nicht in Gedanken bei ihm bin! Er hat schon immer mein Denken und Handeln bestimmt, seit ich ein kleines Mädchen gewesen bin! Bitte, versuch nicht, mich vom Gegenteil zu überzeugen, es wird dir nicht gelingen!“ Sanft lächelte sie ihr Lächeln, das alle Männerherzen höher schlagen ließ, weil es so unschuldig, voller Wärme und herzergreifend war.
„Jetzt lebst du keusch, bis er dir irgendwann schreibt, dass er eine Andere heiraten wird?“ Ein unüberhörbarer Zynismus schwang in seiner tiefen Stimme mit.
„Ich lebe nicht keusch, ich bin nur treu und er wird keine Andere heiraten!“ Tapfer sah Lena in Krischans zyanblaue Augen, sie würde auf keinen Fall zugeben, dass dieser Gedanke ihr oftmals selbst im Kopf herum spuckte. Schließlich war Nils ein Mann, der die erste Erfahrung mit ihr gemacht hatte. Konnte ein Mann jahrelang leben wie ein Mönch? Wohl kaum! Nur, wenn Nils mit einer Anderen ins Bett gehen würde, würde er sie auch lieben, anders konnte sie sich eine Beziehung bei ihm nicht vorstellen, da er ein Mensch war, der Vertrauen zu jemandem aufbauen musste, bevor er... ja, bevor er mit ihr ins Bett gehen würde.
„Du zweifelst selbst daran, nicht?“ Fühlbar spürte Krischan förmlich, wie die Gedanken hinter ihrer Stirn durcheinanderwirbelten, um sich zu einem Zweifel zusammenzuballen.
„Manchmal, ja! Aber nur weil ich mir nicht vorstellen kann, dass ihr Männer auf Intimität verzichten könnt!“ Schräg schmunzelte Lena ihn an, weil Krischan in Lachen ausbrach.
„Kluges Mädchen! Sonst muss er ein Heiliger sein!“ Urplötzlich wurde es ihm leichter ums Herz. Wahrscheinlich musste er nur
Weitere Kostenlose Bücher