Engel der Rache - Bruder Hilperts fünfter Fall
einer Frau in den
späten Fünfzigern haften geblieben war, die mit eisiger Miene auf die Straße hinunterspähte.
»Und was Eure erste Frage angeht: Wir sind im Auftrag von Bruder Alban hier.«
»Das kann jeder sagen!«
»Freilich«, entgegnete Bruder Hilpert, nach
außen hin die Freundlichkeit in Person, insgeheim jedoch mehr als ungehalten ob
des unfreundlichen Empfangs. »Aber nicht jeder ist gräflicher Vogt und Inquisitor
vom Orden der Zisterzienser. Weshalb ich Euch bitten muss, bei Meister Tuchscherer
um eine Audienz für uns nachzusuchen. Sofort.«
»Der ist nicht da.«
»Wie bedauerlich«, heuchelte Bruder Hilpert,
einmal mehr gezwungen, gute Miene zum bösen Spiel zu machen. »Und mit wem habe ich
die Ehre, wenn die unziemliche Frage gestattet ist?«
»Mit seiner Schwiegermutter!«, schnauzte das
zänkische Weib, was dazu führte, dass bei Berengar erneut die schwarze Galle hochkochte.
Bevor sich das Naturell seines Freundes entladen
konnte, war Bruder Hilpert jedoch zur Stelle, umklammerte dessen Handgelenk und
schlug einen derart zuckersüßen Tonfall an, dass sein Freund erst recht in Harnisch
geriet. »Ja, wenn das so ist, Frau Wernitzer, sind wir selbstverständlich bereit,
mit Euch vorlieb zu nehmen. Seid unbesorgt, es wird nicht lange dauern.«
»Aber nur, wenn du altes Schandweib keine Scherereien
machst«, grummelte der Vogt, entwand sich dem Griff seines Freundes und deutete
auf die Tür. »Nach Euch, Bruder, nur keine falsche Scham!«
*
»Mein Schwiegersohn, sagt Ihr? Da müsst Ihr schon die Frauenwirtin
fragen!« Beinahe alles an Chlotilde Wernitzer war spitz, sowohl im wortwörtlichen
wie auch übertragenen Sinn. Von der Art, wie sie ihren Mitmenschen begegnete, hatte
Bruder Hilpert bereits eine Kostprobe erhalten, was aber nicht hieß, dass ihr Reservoir
an spitzzüngigen Bemerkungen damit erschöpft gewesen wäre. »Wenn Euch jemand weiterhelfen
kann, Bruder, dann sie. Für den Fall, dass sich eine Visitation des Freudenhauses
mit Eurem Gelübde in Einklang bringen lässt.«
»Darüber macht Euch keine Sorgen.« Um sich zu
mäßigen, aber auch, um seiner Gesprächspartnerin den Wind aus den Segeln zu nehmen,
ließ Bruder Hilpert den Blick durch die geräumige Wohnstube im ersten Stock des
Wernitzer’schen Anwesens schweifen. Wie nicht anders zu erwarten, fehlte es an nichts,
angefangen bei flämischen Wandbehängen bis hin zu einem offenen Kamin, vor dem das
Fell eines Bären ausgebreitet war. Darüber hinaus hinterließ das Gemach, welches
einem Reichsfürsten zur Ehre gereicht hätte, einen behaglichen, um nicht zu sagen
blitzblanken und penibel aufgeräumten Eindruck bei ihm. Das Spinnrad stand in der
Ecke, das Geschirr fein säuberlich aufgereiht im Regal, der vergoldete Kerzenständer
genau in der Tischmitte. Und der Stickrahmen lag auf der Bank in der Fensternische.
Sogar der Fußboden, so schien es, war gerade erst gescheuert und mit wohlriechenden
Binsen bestreut worden.
Bruder Hilpert runzelte die Stirn. Alles befand
sich an Ort und Stelle, an dem dafür vorgesehenen Platz. Gerade so, als habe Egberta
Tuchscherer Großputz gemacht und ihre Stube beim Eintreten ihrer Mutter verlassen.
»Meine Tochter war eben eine sittsame Frau.
Und überaus ordentlich. Im Gegensatz zu ihrem Gatten, wenn ich das so sagen darf.«
»Ich verstehe.« In Gedanken bei der Hiobsbotschaft,
welche er in Kürze zu übermitteln haben würde, deutete Bruder Hilpert ein Nicken
an und sog den Kerzenduft, der ihm in die Nase stieg, mit geschlossenen Augen ein.
Danach, immer noch uneins, wie er sich seiner Bürde entledigen sollte, setzte er
ein gewinnendes Lächeln auf und wandte sich wieder der Endfünfzigerin zu, welche
ihm von Bruder Alban in drastischen Farben geschildert worden war. Eine Schilderung,
die, wie sich herausgestellt hatte, durchaus der Realität entsprach.
»Ihr bringt schlechte
Kunde, hab ich recht?«
Bruder Hilpert nickte erneut,
gab sich einen Ruck und rückte so schonungsvoll wie möglich mit der Wahrheit heraus.
Nur um festzustellen, dass er sich die Mühe hätte sparen können. Chlotilde Wernitzer
verzog keine Miene, war nicht bereit, sich in die Karten schauen zu lassen. Und
stellte keinerlei Fragen, weder zu Beginn noch im weiteren Verlauf von Bruder Hilperts
Monolog. Einigermaßen verblüfft, wurde der Bibliothekarius von wachsender Unruhe
erfüllt, ausgerechnet er, der er sich in den Abgründen der menschlichen Seele bestens
auszukennen glaubte.
Am Ende seiner
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