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Engel der Rache - Bruder Hilperts fünfter Fall

Engel der Rache - Bruder Hilperts fünfter Fall

Titel: Engel der Rache - Bruder Hilperts fünfter Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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Hilpert von Maulbronn Bruder Clemens hinterher,
als der Kustos des Franziskanerklosters das Portal bereits aufgesperrt und ihn mit
der Kinnspitze auf das schräg gegenüberliegende Patrizierhaus hingewiesen hatte.
Die Giebelornamente, das reich verzierte Fachwerk und die Buntglasscheiben sprachen
eine deutliche Sprache, und man musste kein Hellseher sein, um sich ein Bild vom
Status seiner Bewohner zu machen. Die Familie, in die Tuchscherer hineingeheiratet
hatte, zählte zu den einflussreichsten der Stadt. Das sah man dem Haus, das keinen
Vergleich scheuen musste, schon von Weitem an. »Dann seid ihr erlöst.«
    »Euer Wille geschehe, Bruder.«
    »Oder derjenige des Herrn, je nachdem.« Ein
hintergründiges Lächeln erhellte Bruder Hilperts Gesicht, und es schien, als denke
er über etwas nach. »Was hat Euch eigentlich veranlasst, nach Vollendung des Tagwerks
die Kirche aufzusuchen?«
    »Meine Pflichten als Sakristan, was sonst?«
    »Und das zwei Stunden nach der Komplet [51] ? Hand aufs Herz,
Bruder – hattet Ihr nicht den lieben langen Tag Zeit, ihnen nachzukommen?«
    Der Sakristan, knapp sechs Fuß groß und ein
Bär von einem Mann, neben dem sich Bruder Alban wie ein Zwerg ausnahm, schlug die
graubraunen Augen nieder und zwirbelte an seiner opulenten Bartpracht herum. »Doch.«
    »Warum dann diese späte Visite?«
    »Ganz einfach: Ich hatte zu tun. Den ganzen
Tag über. Und dann auch noch der Trauergottesdienst morgen früh, bei dem die halbe
Stadt anwesend sein wird. Wisst Ihr was, Bruder? Irgendwie ist das alles ein bisschen
viel für mich. Ich weiß nicht, wo mir der Kopf steht, ehrlich!« Der Küster kehrte
die Handflächen nach oben und wusste vor Verlegenheit weder ein noch aus. »Ich wollte
doch nur, dass alles seine Richtigkeit hat.«
    »Und – hatte es das?«
    »Na, Ihr stellt mir vielleicht
Fragen, Bruder. Natürlich nicht.«
    »Passiert Euch das eigentlich
öfter?«, fragte Bruder Hilpert und wechselte einen raschen Blick mit Berengar, der
sich am Küster vorbei ins Freie gezwängt und nach einem flüchtigen Rundblick zu
ihm gesellt hatte. Weit und breit war kein Mensch zu sehen, die Herrngasse wie ausgestorben.
    »Was denn, Bruder?«
    »Dass Ihr Euch zur Schlafenszeit
in die Kirche begebt, um ipso loco [52] nach dem Rechten zu sehen.«
    »Was ist denn schon dabei, wenn ich …«
    »Kommt mir bitte nicht damit, Bruder. Ihr wisst
doch genau, dass ein Mönch verpflichtet ist, die Regel seines Ordens auf das Genaueste
zu befolgen. Die, wie ich wohl nicht extra betonen muss, für jedermann verbindlich
ist und besagt, dass ihr Euch im Anschluss an die Komplet ins Dormitorium [53] zu begeben, angekleidet
auf die Pritsche zu legen und bis zu den Vigilien [54] ebendort auszuharren habt. Schlafend, falls es Gott
dem Herrn gefällt.«
    Der Sakristan trat von einem Bein auf das andere,
raufte sich die Tonsur und wich Bruder Hilperts forschendem Blick aus. »Also gut!«,
gestand er zerknirscht. »Mir ist da ein kleines Missgeschick passiert.«
    »Was Ihr nicht sagt!«, warf Berengar ein, nicht
mehr weit von einem Wutausbruch entfernt. »Darauf wären wir nun wirklich nicht gekommen.«
    »Berengar, bitte.« Beileibe nicht so temperamentvoll,
doch nicht minder misstrauisch wie sein Freund, den er mit einem vorwurfsvollen
Seitenblick in die Schranken wies, rieb Bruder Hilpert seinen Zeigefinger an der
Nasenspitze und ließ den Blick auf dem am Boden zerstörten Minoritenbruder ruhen.
»Verzeiht, Bruder, wenn der Herr Vogt Euch gekränkt haben sollte. Er meint es nicht
so. Heißt es doch: ›Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein‹ [55] , nicht wahr, alter Freund?«
    »Anstatt immer nur auf mir rumzuhacken, solltest
du lieber …«
    »›Mit deiner Interrogatio [56] fortfahren!‹, ich weiß.« Rein äußerlich die Ruhe selbst,
ging der Bibliothekarius über den Rüffel seines Freundes hinweg und ließ den Sakristan
nicht aus den Augen. »Auf ein Neues, Bruder – um welche Art Missgeschick handelt
es sich?«
    Der Hüne im braunen Habit schien untröstlich.
»Ausgerechnet mir musste das passieren!«, wehklagte er. »Ich … ich hätte mich ohrfeigen
können. Weiß der … äh … weiß Gott, wie es so weit kommen konnte, dass ich den Psalter
verlegt habe.«
    »Den Psalter der Heimgegangenen? ›Verlegt‹?
Wie darf ich das verstehen?«
    »Na ja, ›vergessen‹ wäre wahrscheinlich richtiger.«
Rot bis unter die Haarspitzen, vergewisserte sich der Sakristan, dass niemand in
der Nähe war,

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